Hallo, wie heißt Du bitte? Silvia alias Glöckchen, ein Streetbunny
Und wie alt bist Du? Ich bin 56 Jahre jung
Was ist dein Job? Finanzbuchhalterin im öffentlichen Dienst
Seit wann fährst du Motorrad? 21.09.2018, eine Woche vor meinem 52 Lebensjahr
Wie und warum bist Du zum Motorradfahren gekommen?
Mein Ex Mann hat 2016 den Motorradführerschein gemacht und ein Bike gekauft. Damit war ich Sozia. Das war am Anfang ja noch ganz lustig, weil er ordentlich gefahren ist. Irgendwann schwappte es zu dem klassischen schnellen Start und die Helme machten “Klock”. Beim Bremsen wurde es nicht besser immer dieses “Klock”. Da hatte ich bald keine Lust mehr drauf. Somit, Anmeldung bei der Fahrschule. Das war das “Warum”.
Aber das “Wie”, das ist eine ganz eigene Story 😊
Ziel war zum 07.07.2018 den Schein zu haben. Wir wollten auf unserer Hochzeitreise mit dem Motorradd Dänemark erkunden. Inklusive meiner Beutetochter (Jana, Tochter vom Ex Mann 14 J.) und meiner Tochter 16 J. So der Plan …
März 2018, Anmeldung in der Fahrschule. Ich für den Motorradführerschein, meine Tochter fürs Auto, wir beide in der gleichen Fahrschule. Da habe ich schon mal nach einem Motorrad geschaut. Ich bin zwar nicht klein, ich bin auf das wesentliche konzentriert! Mit meinen knapp 1,60m muss das Motorrad dann eben niedrig sein.
Theorie fast fertig, da hatte ich einen Unfall. Ich bin beim Malteser Hilfsdienst im Katastrophen Schutz dem Betreuungsdienst zugeordnet und musste Sachen vom Einsatz wegräumen. Beim Hochheben einer 400 Gramm Kaffeemaschine, brach ich mir den mittleren Mittelhandknochen. Es war ein Samstag und ab in die Notaufnahme. Erste Diagnose: „Ist vielleicht nur angeknackst“. Am Sonntag dann Anruf vom Oberarzt: nix passiert, bisschen schonen und gut ist.
Montag auf Arbeit kam der Anruf von der BG Ärztin: Sie haben einen Tumor in der Hand! Dann kam die OP und der Motorrad-Führerschein musste warten und meine ganze Planung war im Eimer. Mit Verspätung habe ich dann im Sept 2018 endlich den Schein gehabt.
Welches Motorrad fährst Du?
Aktuell fahre ich meine zweite Maschine Namens “Woddy”, eine Kawasaki Vulkan S, die mich im Dezember 2018 auf der BMT gefunden hat. Meine erste Maschine war eine Kawasaki Eliminator ZL 600 in gelb. “Karlchen”, ich habe sie immer noch.
Beide Maschinen sind perfekt für meine kurzen Beine. Mein Motorrad muss eine Sitzhöhe von 72cm haben bei einer Gesamtkörperlänge von 1,59 cm.
Warum hast Du diese Maschine gewählt?
- wegen der Sitzhöhe war Karlchen die einzige Maschine, die wir gefunden haben.
- Ich habe bei Autoscout eine Eli gesehen, die gelb war und die, hatte sich die Seitenkoffer auch gelb gemacht. Leider konnte ich sie zu der Zeit nicht bezahlen. Als ich das Geld hatte war sie verkauft und ich habe fast geweint.
Da die es im Mai nicht sein konnte habe ich nach einer anderen gesucht. Alle ohne Koffer, alle ohne Sissybar. Also suchte ich parallel schon mal nach dem Zubehör. Ende Mai hatte ich die Koffer in Schwarz gekauft. Juni die Sissybar mit Seitenkofferhalterung. Im Juli, da hatte ich gerade meine dritte Fahrstunde, haben wir dann Karlchen gefunden. Irgendwo in Brandenburg auf einem alten Bauernhof in einer Scheune und mega rostig.
Der Boden war mit Pflastersteinen, Sand und Granulat bedeckt. Der Halter war ein kleiner privater Händler. Er meinte, die Maschine “bockt ein wenig”, er würde sie uns vorführen und fahren. Dann sagte ich meinem Ex-Mann, er soll mal fahren. Das klappte gut und da wollte ich dann auch mal Probefahren … Ümpf, doofe Idee.
Also, ich rauf auf die Maschine und … Karlchen bockte beim geradeaus fahren. Ich machte genau das, was man auf gar keinen Fall tun darf. Ich nutze die Handbremse und zog mit dem ganzen Arm, verriss die Maschine und fiel auf die Seite.
Nun waren Bremshebel, Spiegel und Tachoanzeige kaputt. Der Verkäufer natürlich „Du musst sie jetzt kaufen“. Ich so, „nö“ ist ja kaputt 😊 Wir haben verhandelt und er hat noch weitere zusätzliche Reparaturen gemacht. Schließlich hat er mir “die Maschine”mein” Motorrad nach Hause geliefert. Das war im August 2018.
Wie schon bei meinem Autoführerschein, war das Fahrzeug vorher da. Ich baute alle Teile an. Mein Mann fuhr sie zwei Mal, damit sie nicht so lange steht und startklar ist. Führerschein bekommen und ich wollte natürlich gleich los. Mein Mann verschob es auf den nächsten Tag.
Wir fahren also zusammen zum Schwiegerpaps nach Elstal. Ruf uff die Autobahn und go. Jey, ist das schön.
Sag mal Mann, hier ist keine Tankanzeige, wie weit komme ich?
Na, so 170km.
Fein ich bin bei 160km und noch 15km nach Elstal.
Und was passiert? Na klar, ich bleibe mitten auf der Autobahn stehen, das erste Mal. Ok, es gibt ja noch den Reservehahn, puuuuh, schwitz. Also bis zur Tanke sind wir dann noch gekommen. Dabei viel auf, Mist die hat ja gar keine Warnblinker. Na klar 1998 war es nicht nötig.
Du hast einen Spitznamen oder einen Insta-Namen?
Insta nutze ich nicht, bin zu alt für das neumodische Zeug. Ich bin froh dass ich Facebook gebacken bekomme 😊 Man nennt mich auch “Glöckchen”.
Magst Du uns die Geschichte zu Deinem Handle erzählen? Wie kam es dazu?
Ich glaube, also es ist nur eine Vermutung, dass es an meinem Bunny liegt 😊 Ich habe ein paar Motivglöckchen dran. Es sind so um die 200 verschiedene Glöckchen. Mal mehr oder weniger.
Mal mehr, weil ich Nachschub gefunden habe. Mal weniger, weil sie mir abgeschnitten werden und dann, was in die Spendenbox kommt.
Was ist ein Bunny?
Ein Bunny ist ein Hasenoutfit der Streetbunnycrew. Wir sind ein bundesweiter gemeinnütziger Motorrad Verein mit rund 400 Streetbunnys. Jungs fahren in rosa, Mädchen in weiß. Wir sammeln Spendengelder, um anderen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können. Das sind häufig kleinere Vereine, die mit Kindern arbeiten und wenig staatliche Hilfe bekommen. Wir Streetbunnys in Berlin/Brandenburg sammeln gerade für “NierenKinder Berlin EV“. Vorher für “Uckermark gegen Leukämie” und davor für “Kinderbauernhof Pinke Panke“, um mal ein paar Ziele bei uns zu nennen.
Was bedeutet Dir Motorradfahren heute?
Freiheit, Entspannung, Einkaufswagen, Abenteuer, Geschichten, Reisen, Freude, Lächeln schenken, Gemeinsamkeit, Gleichgesinnte, Liebe.
Was bewunderst Du an anderen Motorradfahrerinnen?
Hammer, wenn so kleine Frauen auf großen Bikes unterwegs sind, da bin ich immer sprachlos, wie das geht. Wenn sie furchtlos durch die Kurven ziehen, was ich nicht kann.
Dieses Lachen in ihren Augen und die Liebe zum Motorradfahren.
Was war Deine größte Herausforderung bisher?
Wo soll ich anfangen? Ich glaube meine Leidenschaft ist es, jede Reise mit einer WhatsApp-Story zu beginnen und zu beenden. Mittlerweile ist das schon ein running Gag und ich habe eine große Fangemeinde … Wenn ich z.B. nach Nürnberg zur Bunny-Versammlung fahre, habe ich bei WhatsApp schon 200 Follower, Tendenz steigend, sonst schauen eher 70 – 80 neugierige Menschen zu. Weil unterwegs passiert irgendwie immer was, irgendwie …
Dänemark war eine Herausforderung. Das Kupplungsseil riss mitten auf einer großen Kreuzung. Meine Maschine natürlich voll beladen mit Klamotten. Blöd war nur, es war in einer Senke unter einer Brücke in der Hauptverkehrszeit. Ich kann nicht “einfach”, wenn schon, dann auch richtig “Kacke”.
Keine Chance zu schieben! Je mehr ich nach vorne schob, desto schneller rollte mein Motorrad wieder zurück. Mein Ex-Mann schob sie dann auf die Brücke und aus dermisslichen Lage heraus. Und was für ein riesen Glück, die Motorradwerkstatt war zufällig ganz in der Nähe. Der freundliche Mechaniker tauschte auch sofort das Kupplungsseil aus, mega!
Gleiche Motorradtour, etwas später. Mein Seitenkoffer stand irgendwie offen. Einige Sachen blieben auf der Autobahn. Beim Abschließen brach dann der einzige Schlüssel ab, der für beide Seitenkoffer war. Nach einiger Suche fanden wir eine Werkstatt. Mache eine Reise und Du triffst Menschen. Witzig, dieser nette Mechaniker lebte jahrelang in Deutschland und hatte zufällig die passenden Schlösser da. Zwei Stunden später ging es weiter.
Die eigentlichen Hürden kamen erst, als ich meine erste Solo-Tour nach Rügen machte. So ein bisschen mulmig war mir schon, Karlchen war nicht so ganz zuverlässig: Mitten auf dem Deich bei Regen liegengeblieben. Benzin-Mangel.
Wie hast Du diese Herausforderung gemeistert und wie hat das ggf. Dein weiteres (Biker)Leben beeinflusst?
Ich glaube durch mein Ehrenamt bei den Maltesern (bin Rettungssanitäterin und auch schon auf einem Rettungswagen für 4 Wochen mitgefahren), habe ich gelernt cool und locker zu bleiben. Erstmal die Situation erfassen! Frei nach dem Motto „Stirbt einer? Nein, dann ist alles gut!
Also entspann dich. Es kommt alles wie es kommen soll.
Die (5) W-Fragen aus dem Erste-Hilfe-Kurs helfen mir da immer ganz gut weiter
Also wenn ich mal stehenbleibe, dann gehe ich für mich diese Fragen durch:
W wer ruft an? Gibt es ja nicht wirklich, weil es egal ist
W wo ist es passiert?
W was ist passiert?
W wie viele Verletze? Nun verletzt ist ja in dem Fall “nur” Karlchen, in welcher Form auch immer.
Wie viele? Naja, einer eben oder ich auch noch. Ist aber irgendwie alles überschaubar.
Und dann W warten … Das passt jetzt nicht ganz, aber auf mich bezogen mache ich daraus:
Was mache ich als erstes? Schlachtplan entwickeln und dann Action!
Gab es schon Mal eine brenzlige Situation?
Oh ja. Öresund-Brücke in Dänemark. Es war so windig, dass ich die ganze Zeit die volle Breite meiner Spur genutzt habe. Entweder freie Bahn, dann kam der Wind von unten oder LKWs fuhren an mir vorbei. Die haben mich dann angezogen oder wegdrückt. Aerodynamik ist schon eine spannende Sache … Ich bin gefahren wie besoffen, ohne es beeinflussen zu können. Da hatte ich schon echt Angst, weil ich das Bike nicht wirklich kontrollieren konnte. Aber, is ja alles gut gegangen.
Immer Mal wieder übersehen mich Autofahrer und trotz hupen, reagieren sie nicht. Da war auch schon mal eine Vollbremsung nötig.
Jetzt im April 2023 bei Schneeregen von Nürnberg nach Berlin und zurück, war auch haarig, weil ich echt nichts gesehen habe. Meine Heizweste hatte ich nicht an und habe so sehr gefroren, dass mir die Beine gezittert haben. Da hatte ich auch das Bike nicht mehr unter Kontrolle. Da bin ich auch so schnell wie möglich an einer Raststätte rausgefahren, die natürlich erst 20 km später kam. Tiefgefrorene und eingeschlafene Hände sind in Kombination mit Klapperbeinen irgendwie ungünstig.
Noch eine schöne Geschichte aus dem Leben als Streetbunny …
Es gibt eine Glöckchen Gedenkkurve in Hilpholtstein und das kam so: Ich habe bei einem Streetbunny übernachtet, damit ich rechtzeitig in Nürnberg bei der Versammlung bin. Samstag fuhren wir die Strecke zum Treffpunkt. Ich war 2020 doch eher noch ein Anfänger was Kurven betrifft. Ich bin ihm auf seiner Spur direkt hinterhergefahren. Alle Kurven suverän gemeistert! Nun dachte er, ich kann ja fahren.
Am nächsten Tag, auf dem Weg zur zweiten Versammlung gibt der Bunnykollege Gas. Ich auch, bin ja mutig. Und Schwups, war er weg und ich konnte nicht mahr abgucken. Da waren auf einmal dichte Sträucher, die waren am Vortag aber noch nicht da, ehrlich. Naja, ich war abgelenkt und guckte in jedem Fall nicht in die Kurve sondern fatalerweise geradeaus. Was macht das Bike? Es fährt dahin wohin ich hingucke … Und da war eine Vertiefung, eine Rinne, damit Wasser ablaufen kann, so halbes Rad tief. Dort rein und wieder raus. Geradeaus weiter dann ein Parkplatz mit Schotter, kleine Biege und runter vom Platz, zurück auf die Straße. 30 Meter weiter wartete dann endlich der Streetbunny Kollege.
Ich sagte „Verluste gibt es überall, oder?“ Macht nichts.
Er fragte nur: „Wieso, was war denn?“
Nun gibt es die Glöckchen Gedächtniskurve und rund 30 Streetbunnys lachen alle 6 Monate darüber.
Was war es und wie hast Du reagiert?
Ich habe erst hinterher bemerkt, wie brenzlig das war. Ich bleibe immer absolut entspannt. Wenn es mir dann aber bewusst wird, schlägt mein Herz bis zum Hals.
Was war Dein schönstes Erlebnis?
20.04.2023 Meine Tochter hat den Führerschein bestanden und wir, ein weiteres Streetbunny und ich (sie hat auch die Kawasaki Vulkan S), haben meine Tochter zum Kawa Händler gebracht. Sie ist dann mit ihrer Maschine in der Mitte gefahren. Erste Strecke zu sich auf Arbeit und nach Hause. Abends standen beide Maschinen nebeneinander auf dem Parkplatz. Es ist ein mega geniales Gefühl, nun mit meiner Tochter gemeinsam fahren zu können!
Meine Woddy abzuholen war auch schon echt cool aber topped das mit meiner Tochter bei weitem nicht.
Wo oder welche Strecke würdest Du gern einmal fahren?
Es gibt Keine, die ich nicht würde fahren wollen. Ich möchte möglichst viele Länder mit meinem Bike bereisen. Jetzt, im Juni 2023 mache ich meine erste Tour von Berlin in die Alpen. Berlin selbst hat ja für uns Motorradfahrer nicht wirklich viele Kurven zu bieten.
Warum reizt Dich das?
Weil reisen mit dem Bike einfach Freiheit bedeutet. Heut hier, morgen da. Menschen kennen lernen, reden und austauschen.
Was würdest Du Dir selbst raten, wenn Du jetzt mit dem
Motorradfahren beginnen würdest?
Sei mal mutiger. Vertrau dir mehr selbst, du kannst es. Meine Kurven-Angst besiegen.
Tipps aus Deiner persönlichen Erfahrung?
- Jährliches Fahrsicherheitstraining ist ein Muss!
- Habe immer 1 Liter Benzin bei dir.
- Fahre keine Tour, ohne das eine Werkstatt dein Bike geprüft hat. Wäre mal fast mit blanken Bremsscheiben losgefahren. Dabei war ich nur wegen einer Glühbirne in der Werkstatt.
- Frische regelmäßig deinen Erste-Hilfe-Kurs inkl. “Helmabnehmen” auf.
Warum sollte Frau Motorradfahren?
Weil es einfach nur mega cool ist zu fahren. Ich genieße eine andere Freiheit. Ich bin viel spontaner mal auf Achse. Ich bin flexibler. Ich sehe viel mehr. Ich lebe wieder.
Ist da noch etwas, was Du unseren Leserinnen gern mitteilen möchtest
Habe keine Angst auch mit über 50 deinen Schein zu machen. Wenn es länger dauert, ist es völlig ok. Wir Frauen, gerade die mit Kindern, haben einfach mehr Ängste oder Schutzfunktionen. Wir wissen was passieren kann, das blende aus. Man ist definitiv nie zu alt dafür. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, egal was andere sagen.
Fahre in deinem Tempo. Wenn andere schneller sind, bist du nur später da aber mit einem guten Gefühl. Das solltest du beim Motorradfahren immer haben.
Der Einzige, der dich hindert, bist du selbst. Höre nicht auf andere. Lass dir Tipps geben, probiere sie aus. Was geht und sich gut für dich anfühlt , das übe, bis es sitzt. Was sich nicht gut anfühlt, das lass weg.
Herrlich unterhaltsam war das – vielen Dank für den Bericht und immer gute Fahrt!
Gina
Ich danke dir Gina für dein Feedback