Die Halbwüste Karoo ist größer als Deutschland und bedeckt fast ein Drittel der Gesamtfläche Südafrikas. Der Name Karoo geht auf die Khoisan, die südafrikanischen Ureinwohner, zurück und heißt so viel wie ‚Land des Durstes‘. Trockenheit, Weite und Einsamkeit machen die Karoo ideal für alle, die Südafrika abseits der Strände, Städte und Wildparks entdecken wollen. Mehrere hundert Kilometer unbefestigter Pisten machen sie zudem ideal für eine Motorradtour durch Südafrika abseits der geteerten Straßen.
„Peng!“ Der Klang des Steins, der mir gerade mit voller Wucht mitten auf das Visier geknallt ist, hallt wie ein Pistolenschuss im Inneren des Helms nach und bringt meine Ohren zum Klingeln. Zum Glück war das Visier geschlossen, sonst hätte mich der Kiesel direkt zwischen den Augen erwischt. Vorsichtig verlangsame ich das Tempo und vergrößere den Abstand zu Joe, der mit seinem Motorrad vor mir fährt, und mit den Reifen Steine aufwirbelt. Sicherheitshalber tuckere ich so lange in Schrittgeschwindigkeit weiter, bis ich von ihm nicht mehr sehen kann, als einen entfernten Staubschleier.
Wir befinden uns auf der P 2244, einer einspurigen Schotterpiste, der man ihren Ursprung als Hirtenpfad immer noch anmerkt. Sie führt mitten hinein in die Tankwa Karoo, dem regenärmsten Teil der ohnehin trockenen Halbwüste. Schon seit fünf Jahren herrscht hier Dürre. Entsprechend kann ich es erst gar nicht glauben, als ein Wassertropfen auf meinem Visier landet. Da wird doch nicht ein Vogel im Flug…? Nein, kein Vogel. Stattdessen zeigt der Blick nach oben dicke Gewitterwolken, aus denen erste Tropfen fallen. Die trockenste Region Südafrikas … Regen nur im Winter … Und wir kommen mitten im Dezember, im Hochsommer, in ein Unwetter! Kann ja gar nicht sein! Ist aber so.
Kofferraum-Pass mit Katzengesicht
Ich gebe wieder mehr Gas, was auf der weitgehend geradeaus führenden Piste auch kein Problem ist. Um das Rütteln der Bodenwellen abzumildern, stelle ich mich auf die Fußrasten. Wir erreichen auf unserer Motorradtour durch Südafrika den Katbakkies Pass, der zwar nur einige Kilometer lang, aber mit acht Prozent Steigung ziemlich steil ist. Katbakkies ist Afrikaans und heißt so viel wie ‚Katzengesicht‘. Angeblich sieht der Berg, über den der Pass führt, ein bisschen wie eine Katze aus, was mir allerdings nicht aufgefallen ist.
Katbakkies heißt aber auch ‚Kofferraum‘. Man erzählt sich, dass die ersten Fahrzeuge in der Gegend den Pass früher aufgrund des steilen Anstiegs rückwärts überquert haben. Wahrheit oder lokale Legende? Ich weiß es nicht. Wir fahren jedenfalls vorwärts drüber. So lässt sich auch der Ausblick besser genießen. Atemberaubend schön erstreckt sich das weite Land vor uns. Beim Blick auf die dunklen Wolken über uns stockt uns der Atem aus anderen Gründen. Hier oben gibt es keinen Schutz vor dem heranziehenden Gewitter. Wir beschließen, ein etwas schärferes Tempo anzuschlagen. Mit über 100 km/h jagen wir über den Schotter. Die ersten Blitze aus den mittlerweile fast schwarzen Himmel tun ihr übriges, um unseren Fahrstil zu beflügeln. Unsere Eile wird belohnt. Nur dreißig Sekunden, nachdem wir den Tankwa Padstal erreichen, prasselt der Regen los und das Gewitter entlädt sich direkt über uns.
Tante-Emma-Laden mit Kultstatus oder Shopping auf Motorradtour durch Südafrika
„Padstalls“ sind in Südafrika kleine Läden am Straßenrand, in denen Getränke, Snacks, Haushaltsgegenstände, Werkzeug, Souvenirs und lokale Produkte verkauft werden. Jeder Padstal ist anders, und doch haben sie alle eines gemeinsam: Sie sind ein Teil der südafrikanischen Reisekultur. Der Tankwa Padstal liegt einsam inmitten der flachen, staubigen Weite. Statt eines Hinweisschildes steckt am Rande der Schotterpiste ein Auto mit der Motorhaube im Sand und reckt seinen Kattbakkie gen Himmel. Die Szenerie erinnert an „Mad Max“, die australische Filmreihe, die mittlerweile zum Kult geworden ist.
Auch der Tankwa-Padstal ist Kult: Mehrere tausend Motorradfahrer, Geländewagenliebhaber, Flieger, die auf einem nahegelegenen Flugplatz landen, Eselkarren-Lenker und sowie Burner besuchen jedes Jahr den skurrilen Laden am staubigen Rand der Tankwa Karoo. Burner? Richtig, Burner. Oder genauer gesagt: AfriBurner. So nennen sich die mehr als zehntausend Besucher des AfrikaBurn Festivals, das jedes Jahr auf einem nahegelegenen Farmgelände abgehalten wird. „Verrückt“, ginge es dann hier zu, sagt Hein, Besitzer des Padstalls. Heute ist es dagegen ruhig. Außer uns sind noch vier weitere Reisende im Padstal eingekehrt. Wir sitzen auf der überdachten Veranda, hören zu, wie der Regen laut und kräftig auf das Blechdach trommelt und essen frisch zubereitete Burger. Dazu gibt es Slaptjips (slap chips). Die weichen, labbrigen Pommes – je labbriger desto besser – sind eine südafrikanische Spezialität.
Nach einer Viertelstunde hat sich das Gewitter verzogen. Zurück bleibt ein Geruch von frischgewaschener Luft, durchsetzt mit dem Aroma feuchter Erde. Erfrischt fahren wir weiter.
Staub, Staub und nochmals Staub
Die nächsten zwei Stunden vergehen wie im Flug und dauern gleichzeitig scheinbar endlos an. Die Landschaft erstreckt sich in alle Richtung gleich: gleich weit, gleich flach und gleich staubig. Wir sind zügig auf der R355 unterwegs, einer Art Schotter-Autobahn, breit und eben. Trotz des vorangegangenen Regengusses wirbeln wir mächtig Staub auf, der seinen Weg auch unter den Helm und in den Kragen der Jacke findet. Heiß ist es geworden, das Thermometer zeigt 33 Grad. Die Sonne sticht, der Fahrtwind brennt, mein linkes Bein fühlt sich an, als würde jemand einen heißen Fön darauf richten. Mein rechtes Bein hingegen ist vergleichsweise kühl. Das liegt daran, dass sich rechts der Straße die Wolken wieder neu formieren. Das Gewitter ist vom Padstal aus im Bogen um uns herum gezogen und kommt nun erneut auf uns zu. Also wieder auf die Fußrasten stellen und Gas geben!
Achtung Springbok
Dass die Karoo keineswegs eine unbelebte Einöde ist merken wir, als plötzlich im Gelände neben der Straße ein Springbok sichtbar wird. Diese wunderschöne und weit verbreitete Antilopenart mit ihrer charakteristischen Fellzeichnung (weißer Bauch, brauner Rücken, dazwischen ein dunkler Streifen quer über die Flanke) ist das Wappentier Südafrikas. Namensgebend ist ihre Gangart: Sie heben im Galopp mit allen Vieren gleichzeitig vom Boden ab und springen dabei bis zu zwei Meter hoch. Darüber hinaus sind sie hervorragende Sprinter, die bis zu 85 km/h schnell werden können. Und als wollte er das beweisen, rennt der Bock auf einmal in hohem Tempo in Richtung Straße. Sekunden bevor er uns erreicht, dreht er mitten im Sprung ab und hüpft in die entgegengesetzte Richtung weiter. Mit seinen langgestreckten, grazilen Beinen fliegt er geradezu über die kleinen Sträucher und Grasbüschel. Sein Fell leuchtet in der Sonne. Wir blicken ihm noch eine Weile nach, bis er in der Entfernung ganz mit seiner Umgebung verschwimmt.
Kurze Zeit später biegen wir auf eine kleine, namenlose Piste ab und erreichen den Eingang zum Tankwa Karoo Nationalpark. Zu Schotter und Staub gesellen sich nun noch waschbrettartige Bodenrillen und tiefe Schlaglöcher. Mittlerweile sind wir seit über fünf Stunden auf unserer Motorradtour durch Südafrika unterwegs, davon drei Stunden auf Schotter und meistens auf den Fußrasten stehend. Die ungewohnte Anstrengung beginnt, sich in Armen, Handgelenken, Knien und Rücken bemerkbar zu machen. Bis zu unserem Tagesziel ist es zwar nicht mehr allzu weit, aber vor uns liegt noch der Gannaga Pass und damit ein besonderer Höhepunkt der Tour. Oder eine besondere Herausforderung, wie man es nimmt.
Nichts für schwache Nerven – Kurven auf Motorradtour durch Südafrika
Der Gannaga Pass klettert als einspuriger Sand- und Geröllpfad über eine Länge von sechs Kilometern das Hochplateau der Roggeveld Mountains hinauf. Insgesamt 45 Kurven gilt es zu durchfahren, darunter einige extrem scharfe Kehren. Die Steinmauern, die den Pass begrenzen und sichern sollen, sehen nicht so aus, als seien sie seit ihrer Errichtung in den 1930er Jahren jemals saniert worden. Zwischen den bröckeligen Steinen klaffen große Lücken auf, teilweise fehlt die Begrenzung ganz. Maximal im zweiten Gang, häufig auch nur im ersten, bahnen wir uns ganz langsam unseren Weg zwischen Steinen, Staub und Schlaglöchern. Die Aussicht von hier ist sicher wunderbar, doch im Moment habe ich keinen Blick für die Landschaft. Die engen Kurven und der holprige Untergrund machen mich nervös. Immer wieder kommt mein Vorderrad viel näher an den Rand des steil nach unten abfallenden Berghanges als mir lieb ist. „Ruhig, ganz ruhig, und immer locker bleiben“ fordere ich mich in Gedanken selber auf. Die Strecke verlangt mir das letzte bisschen Konzentration ab, die ich nach diesem langen Tag im Motorradsattel noch aufbringen kann.
Auf der Passhöhe angekommen, werden wir für unsere Anstrengungen belohnt. Hier oben ist es sechs bis sieben Grad kühler als unten im Tal, es riecht nach Gras und Kräutern. Um uns herum ist es ganz still, nur das leise Ticken der heißen Motoren ist zu hören. Wir blicken zurück auf die weite Ebene des Nationalparks. Ruhig und friedlich liegt die Tankwa Karoo zu unseren Füßen, eine staubige Idylle, in der die Zeit still zu stehen scheint. Der Blick nach vorn ist aus anderen Gründen erfreulich: Nur einen Steinwurf von uns entfernt sehen wir die Gannaga Lodge, unser Ziel für den Tag.
Bauernhof im Nirgendwo
Die Gannaga Lodge war früher eine Farm. Unser Zimmer im ehemaligen Stallgebäude stellt seine Vergangenheit als Behausung für Pferde und Esel stolz zur Schau. Entlang der dicken Feldsteinmauer verläuft eine alte Futterkrippe über die gesamte Länge des Schlafraums. Sie ist ideal für die Ablage von Helmen und Jacken und ersetzt den Kleiderschrank. Die Einrichtung ist einfach, aber alles ist gut in Schuss und blitzblank sauber. Der Fußboden ist aus Beton und angenehm kühl. Das Bad ist durch Wellblechplatten vom Zimmer abgetrennt. Wir duschen nur kurz, um Wasser zu sparen, und um schneller beim Bier zu sein.
Als wir zur Bar hinüberlaufen, fängt es wieder an zu regnen. Das Gewitter ist da, und dieses Mal schüttet es sogar noch kräftiger als am Nachmittag. Eine Weile bleiben wir auf der geschützten Terrasse stehen und genießen das Schauspiel. Drinnen begrüßt uns Besitzer Johann und zapft sofort zwei Bier vom Fass. Munter plaudert er drauf los und erzählt mit viel Witz vom Leben in der Karoo und von seinen zahlreichen Erlebnissen mit den Gästen. „So richtig voll ist es bei uns im Winter“, berichtet er. „Dann kommen sie in Scharen aus Johannesburg und Pretoria, sitzen am Kamin und blicken stundenlang aus dem Fenster. Die Städter sind verrückt nach der Fokallness um uns herum.“ ‚Fokallness‘ – das lautmalerische Mischwort aus Afrikaans und Englisch ist auch ohne Übersetzung gut verständlich. Ein bisschen rüde klingt es, und passt genau deshalb ganz gut zu der weiten, harschen Landschaft. „Absolutes Nichts in der Mitte des Nirgendwo“, nennt Johann sein Zuhause liebevoll.
Die Zeit verfliegt während wir Johanns Geschichten lauschen. Dann geht auf einmal das Licht aus. Eskom, der krisengeschüttelte südafrikanische Stromversorger, hat mal wieder den Saft abgestellt. Ohne seinen Redefluss zu unterbrechen, zündet Johann ein paar Kerzen an. So langsam wird es Zeit fürs Bett. Johann bietet an, uns mit einer Taschenlampe den Weg in unser Quartier zu leuchten. Aber das ist nicht nötig. Draußen scheint der Vollmond hell und taucht das ganze Land in weißes Licht.
Am nächsten Morgen geht es nach einem üppigen Frühstück für uns wieder zurück nach Kapstadt – natürlich wieder über Schotterpisten. Der Rückweg führt durch Middelpos: Das angeblich kleinste Dorf Südafrikas liegt mitten in der Fokallness und strategisch günstig an der Kreuzung zweier “Hauptstraßen”. Europäer würden vielleicht Hauptschotterpisten dazu sagen.
„Ek hou van die rooi motorfiets“. Den Kindern gefällt das rote Motorrad. Mangels Afrikaans-Kenntnisse meinerseits beschränkt sich der Rest der Unterhaltung auf Lächeln und Gesten.
Als unsere Reifen nach insgesamt 300 Kilometern Off-Road wieder Asphalt berühren, atme ich auf – und bin gleichzeitig ein bisschen traurig. Die Fokallness macht süchtig. Wir kommen wieder.
Und wenn du selbst in Südafrika Motorradfahren möchtest, dann findest du Diana und ihre Touren hier.
Über die Autorin
Diana lebt mit ihrem Mann in Bloubergstrand an der wunderschönen Tafelbucht. Die Liebe und ihre Leidenschaft zum Motorradfahren führten sie von Deutschland nach Südafrika, wo sie den täglichen Blick auf Kapstadt und den Tafelberg genießt, wenn sie nicht auf Motorradtour ist. Zusammen mit ihrem Mann Joe betreibt sie Due South Motorcycle Tours und führt insbesondere deutschsprachige Motorradreisen durch Afrika. Zur Motorrad-Reisereporterin wurde Diana durch SHE is a RIDER, das deutschsprachige Motorradmagazin für Frauen. Mehr Motorrad-Geschichten von und mit Diana findest du auf SHEisaRIDER.de unter Motorradtouren & Events.
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