Kurvenfahren – Sichere Linie oder Rübe im Gegenverkehr: Warum uns der Kopf gern daran hindert, das Motorrad am Kurvenäußeren zu fahren.
“Aaah, die Leitplanke kommt immer näher!”
So ging es mir 2015 auf einer Tour durch das schöne Weserbergland. Ich fuhr in einer
Gruppe angestrengt den anderen hinterher, versuchte mitzuhalten und auch noch möglichst
alles richtig zu machen. Von der Landschaft habe ich nichts gesehen, so beschäftigt mit mir
selbst war ich. Und aus dieser Fahrt stammt das anfängliche Zitat.
In den Bann gezogen
In einer Linkskurve, in der ich den anderen ebenso zügig hinterherfahren wollte, kam
plötzlich die Leitplanke des Kurvenäußeren immer näher. Ich starrte wie gebannt darauf und
war für einen Moment unfähig, zu reagieren. Die Leitplanke hatte mich regelrecht in ihren
Bann gezogen und ich fuhr direkt darauf zu. Nur durch einen äußerst uneleganten, rettenden
Schlenker konnte ich eine Kuschelattacke mit der Leitplanke verhindern. Danach war’s mit
dem entspannten Fahren erstmal Essig.
“Guckste scheiße, fährste scheiße!” würde ein guter Freund und Fahrtrainer nun rufen.
Recht hat er. Aber warum fällt es uns manchmal so schwer, weit am Kurvenäußeren und
damit auf der sicheren Linie zu fahren?
Außen ist es gefährlich, sagt der Kopf
Wir wissen es von guten Ratschlägen anderer, Sicherheitstrainings oder aus Büchern
besser: Die sichere Linie befindet sich am Kurvenäußeren. Denn hier sind wir noch
handlungsfähig und können bei einer sich verändernden Kurve gut reagieren: wir haben
Einfluss auf den Scheitelpunkt, die Linie und die Schräglage. Macht die Kurve plötzlich zu,
bleibt noch genügend Raum nach innen, um die Situation mit etwas mehr Schräglage
souverän zu entschärfen. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt.
Was aber, wenn wir bereits auf der inneren Linie fahren? Wohin bringt uns dann mehr
Schräglage? Richtig, in den Gegenverkehr, in dem die Rübe überhaupt nichts zu suchen hat.
Plötzlich machen wir aus einer herausfordernden Situation eine lebensgefährliche. Und das,
weil uns der Kopf am Kurveneingang überzeugt mitgeteilt hat: Außen ist es gefährlich.
Die Täuschung
Wie kommt es, dass wir dem Trugschluss aufsitzen, innen sei es beim Kurvenfahren viel
sicherer zu fahren? Ganz klar: innen ist erstmal Platz. Keine Leitplanken, Bäume, ausgefranste Fahrbahnränder, auf die wir reagieren müssten. Im Kopf läuft ungewollt ein Film ab: was da am Kurvenäußeren alles passieren kann! Und dann fahren wir doch lieber innen, weil’s so schön in
der Mitte ist. Dabei ist die vermeintlich sichere Linie die unsichere von beiden. Was hindert uns
daran, unser theoretisches Wissen aus dem Kopf in die Hände fließen zu lassen und umzusetzen?
Wir sind überzeugt
In die Kurve getragen werden wir nicht nur vom Motorrad, sondern auch von unseren
Überzeugungen: “das Kurvenäußere ist Lava, die Kurve schaffe ich nicht, mehr Schräglage
geht nicht, ich traue mich nicht.” Wer sich davon noch nichts hat sagen hören, werfe den
ersten Stein.
Wenn sich diese unbewussten Überzeugungen auch nur kurz melden, fahren wir die Kurve
ganz anders, als wir es eigentlich vorhatten. Diese hartnäckigen Überzeugungen sind es, die
verhindern, dass wir unser eigentliches Wissen über sicheres Kurvenfahren nicht in die Tat
umsetzen.
Überzeugungen sind veränderbar
Doch was verändert sich im Kurvenfahren, wenn sich unsere Überzeugungen ändern?
Wenn der Kopf am Eingang der Kurve überzeugt mitteilt: “die Kurve schaffe ich, mehr
Schräglage geht noch, ich traue mich.” Was wir über uns selbst und unsere Fähigkeiten
glauben, glauben wir im Alltag wie auf dem Motorrad gleichermaßen. Und mal ehrlich: wie
oft entsprach eine tiefe Überzeugung “ich schaffe das nicht” gar nicht der Realität und du
hast eine brenzlige Situation hervorragend gemeistert?
Du magst lachen: Die Wahl deiner Überzeugungen liegt tatsächlich bei dir. Ich sehe dies
nicht nur in meiner täglichen Arbeit mit Motorradfahrern, sondern habe es auch selbst
erfahren. Was ich über mich und meine Fähigkeiten glaube, bestimmt auch mein Fahren.
Drum höre in dich hinein: Was glaubst du über dich?
Bis in 2 Wochen zu meiner nächsten Motorradkolumne.
Eure Claudia
In der zweiwöchentlichen Motorrad-Kolumne “Perspektivwechsel” von Motorradcoachin Claudia dreht sich alles um unser geliebtes Zweirad und die Menschen, die es fahren. Mit ihren Geschichten über Gedanken, Gefühle und alles, was sich beim Fahren “zwischen den Ohren” abspielt, gibt sie neue Impulse für einen Perspektivwechsel.
Mehr zu Claudia, ihrer Arbeit als Motorradcoachin sowie direkte Kontaktmöglichkeiten findet ihr hier oder bei Insta und Facebook.
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