“Schönwetterfahrzeug”. So werden Motorräder in Verkaufsanzeigen gerne besonders
hervorgehoben. Nie einen Tropfen Regen gesehen! Ja Moment… wo ist die Motorradfahrerin denn
bitte gefahren? Nur kurz mal ums Haus, wenn die Sonne schien? Aber da erlebt man ja nur
die Hälfte vom eigentlichen Motorradfahren – schöner wäre es doch, mit dem Wetter zu
fahren und sich treiben zu lassen. Wenn da nicht dieses ungute Gefühl beim Fallen der
ersten Regentropfen wäre.
Mit dem Regen kommt die Anspannung
Schon die dunklen Wolken am Himmel wirken bedrohlich. “Da kommt gleich was runter!”
Hektisch hofft man, dass man doch noch verschont bleibt und der Regen gnädig vorbeizieht.
Doch dann öffnet sich das Tor und gibt die Schütte direkt über der armen Motorradfahrerin
frei. Im Regenkombi anziehen, hätte man jetzt glatt einen Zeitrekord aufgestellt. Die Haut
bleibt erstmal einigermaßen trocken – aber das schöne Fahrgefühl ist mit dem Regen dahin.
Da ziehen sich die Schultern nach oben, die Hände greifen den Lenker etwas fester, der
ganze Körper gleicht der Haltung auf dem Zahnarztstuhl.
Bloß nicht wegrutschen
Hinter der Anspannung steckt die simple Angst vor weniger Grip und damit vor dem
Wegrutschen. In der Kurve fahren wir jetzt äußerst langsam und übervorsichtig – die ersten
Fahrstunden lassen grüßen. Die regennasse Straße ist so wenig vertrauenserweckend wie
eine Rutschbahn mit Schmierseife. Aber mal ehrlich: eigentlich ist doch den meisten von uns
noch gar nichts passiert bei Regen! Woher kommt dann diese diffuse Blockade, bei Regen
liefe alles schlechter? Ganz klar: bei Regen haben wir weniger Reifenhaftung. Das ist
physikalisch nicht wegzudiskutieren. Die meisten Reifen leisten aber bei Regen trotzdem
weit mehr, als wir ihnen abverlangen. Wer mal ein Training im Regen gefahren ist, wird von
sich selbst und den ungeahnten Möglichkeiten auf nasser Strecke überrascht gewesen sein.
Nur sonnig ist das wahre Fahren
Es soll sogar Biker geben, die sagen geplante Touren oder Trainings bei Regen ab. Aber wie
will ich im Ernstfall, wenn mich unterwegs der Regen wirklich mal völlig überrascht,
gewappnet sein für das, was ich nun können muss? Ohne das Üben für den “Ernstfall” kann
ich nicht erwarten, eine ungeübte Leistung abrufen zu können, der ich vorher immer aus
dem Weg gegangen bin. Auch der Kopf muss sich darauf einstellen können, in einer
herausfordernden Situation kühl und klar zu bleiben.
Wer sein Moped nur bei gutem Wetter fährt, vergibt sich die Hälfte an Erlebnissen. Die
Möglichkeiten, über sich hinauszuwachsen, etwas zu tun, wovor man vielleicht Bange hatte,
wovon man überzeugt war: es geht nicht – es geht doch. Und wenn man sich einfach mit
dem Wetter treiben lässt, die Ablehnung gegen den Regen über Bord wirft, dann wird man
auch im Regen ein tolles Fahren und herausragende Erlebnisse finden. Was bleibt, ist die
Gewissheit und das Zutrauen, auch bei Regen eine kompetente Bikerin zu sein. Und ein
Motorrad, das kein Schönwetterfahrzeug, sondern eine Abenteuermaschine ist.
Bis in 2 Wochen zu meiner nächsten Motorradkolumne.
Eure Claudia
In der zweiwöchentlichen Motorrad-Kolumne “Perspektivwechsel” von Motorradcoachin Claudia dreht sich alles um unser geliebtes Zweirad und die Menschen, die es fahren. Mit ihren Geschichten über Gedanken, Gefühle und alles, was sich beim Fahren “zwischen den Ohren” abspielt, gibt sie neue Impulse für einen Perspektivwechsel.
Mehr zu Claudia, ihrer Arbeit als Motorradcoachin sowie direkte Kontaktmöglichkeiten findet ihr hier oder bei Insta und Facebook.
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