Motorradtour England & Schottland: Kleine Runde durch das große Britannien

Vom Osten Englands zum südlichsten Punkt Schottlands - Teil 1

Motorradtour-England-Schottland-Norwich Castle
Norwich Castle mit Bike Parkplatz. In England sehr gern sehr großzügig.

Zwei Inseln, vier Landesteile, sechs Wochen Zeit, sie zu erkunden. Im Sommer 2016 zog es mich nach Großbritannien. In mehreren Etappen durchquerte ich England, den Süden Schottlands, den Westen von Wales und setzte auf die Isle of Man über. Der erste Teil der Reise führt in neun Tagen von Folkstone entlang der Ostküste Englands immer Richtung Nordung bis hinein nach Schottland.

Durch den Eurotunnel nach Folkstone

Die Sonne scheint aus einem strahlend blauen Himmel als ich am Morgen des 1. Augusts im Terminal von Calais mein Motorrad in den Bauch des Euroshuttle fahre. Zwei Tage und eintausend Kilometer Anreise liegen bereits hinter mir. Aber so richtig geht die Tour erst jetzt los. Die knapp halbstündige Zugfahrt durch den Channel Tunnel ist begleitet von erwartungsfrohem Bauchkribbeln. In Folkstone angekommen, macht die Vorfreude der Konzentration Platz. „Links, links, links“, wie ein Mantra wiederhole ich die Anweisung an mich selber, von jetzt ab auf der anderen Straßenseite zu bleiben. Das gestaltet sich einfacher als erwartet, und so entspanne ich mich bei der Fahrt die Küste entlang. Die weißen Kreidekrippen von Dover grüßen mich, als ich bei milden Temperaturen an ihnen vorbei ziehe. Über die vierspurige Schnellstraße A299 düse ich zunächst weiter Richtung London. Die Stadt selber umfahre ich so gut es geht auf dem Autobahnring (M20, M25). Dartford Crossing, der mautpflichtige Tunnel unter der Themse, kann von Motorrädern kostenfrei benutzt werden. Sobald ich London hinter mir gelassen habe, verlasse ich auch die Autobahn.

England-Motorradtour-Karte
England auf dem Motorrad. Die Tour von Diana.

Land und Landwirtschaft

Auf einspurigen country lanes tuckere ich gemütlich durch Farm- und Weideland. Mauern aus Bruch- und Feldsteinen begrenzen die schmale Straße. Sie sind von Moss und Flechten überzogen, Efeu, Farne und Brombeeren wurzeln im Mauerwerk und greifen mit ihre Ranken in Richtung Fahrbahn. Immer wieder streifen sie mich am Arm oder Helm. Das passiert vor allem dann, wenn mir auf der engen Straße eilige Farmer in ihren Traktoren entgegen kommen. Davon sind einige unterwegs, schließlich ist Erntezeit. Mehr als einmal muss ich hart in die Bremse hacken und mit dem Motorrad so weit wie möglich an den Rand ausweichen.

England-Skegness
Und dann kam Skegness … eine sehr interessante Stadt an der Küste Englands.

Pittoreske Küste, idyllische Orte – und dann kam Skegness

Schließlich kommt die Küste in Sicht. Je nach Wetter- und Lichtverhältnissen schimmert die Nordsee mal grau, mal leuchtend blau, und hin und wieder sogar hell türkis. Besonders schöne Blicke gibt es auf der Coast Road, die sich zwischen Cromer und King’s Lynn über etwa 85 Kilometer im Norden Norfolks erstreckt. Lange, breite Strände, eingerahmt von Dünen und dem Meer auf der einen und saftig grüne Wiesen auf der anderen Seite der Straße wecken Urlaubsgefühle. In den vielen kleinen Ortschaften entlang der Straße sitzen die Menschen in der Sonne vor den Pubs, trinken Tee oder Bier und essen dazu Sandwiches. In so einem pittoresken Küstenort hätte ich gerne übernachtet. Stattdessen lande ich in Skegness.

Die Küstenstadt war bis in die 1960er Jahre hinein eines der beliebtesten Urlaubsziele der Briten. Seit diese dank günstiger Pauschalangebote lieber Urlaub am Mittelmeer machen, hat ein sichtbarer Niedergang eingesetzt. Die Häuser wirken heruntergekommen. Die Läden entlang der Hauptstraßen werben auf großen Tafeln mit dem Versprechen „billig – billiger – am billigsten“. Die Promenade ist gesäumt von Spielhallen mit blinkenden und laut dudelnden Automaten. Den Blick auf den Strand versperrt ein klotziger Freizeitpark, an dessen Riesenrad überwiegend leere Gondeln schaukeln. Das kulinarische Angebot besteht aus Motto-Pubs und Schnellimbissen. Aber was soll’s … Für einen Abend tauche ich in diese Welt ein, die auf mich befremdlich wirkt. Schließlich bin ich ja hier, um mal was anderes zu sehen. Und ganz ehrlich: die Namen der anderen Küstenstädte auf meiner Tour habe ich bald vergessen. Skegness hingegen ist eine bleibende Erinnerung.

She is a rider Dina auf der BMW F-800-R
Diana im Sonnenschein mit ihrer roten BMW F800R am Fuße der Humber Bridge, Kingston upon Hull, England.

Die windige Weite der Yorkshire Moors

Bleibende Eindrücke ganz andere Art finde ich in Yorkshire. Auf dem Weg hierher überquere ich die Humber Bridge. Mit 1.400 Metern ist sie eine der längsten Hängebrücken der Welt. Eigentlich ist die Überquerung mautpflichtig, aber für Motorräder ist die Benutzung frei. Weder Mautstationen noch Schranken verlangsamen meine Überfahrt, dafür aber der Wind, der steif und böig bläst und mich immer wieder ins Schwanken bringt.

Windig ist es hier im Norden Englands eigentlich fast immer. Vor allem auf den Anhöhen werde ich kräftig durchgepustet. Mein Ritt über die North York Moors gleicht einem stürmischen Tiefflug. Ich erklimme von Süden kommend die bis zu 400 Meter über dem Meer gelegene Hochebene. Die Landschaft ist unglaublich weit, der Blick reicht schier endlos in die Ferne, über dem purpur und lila blühenden Heidekraut wölbt sich ein strahlend blauer Himmel. An der Blakey Ridge, dem höchsten Punkt der Straße, lädt das urige Lion‘s Inn zum Verweilen ein.

Danach windet sich die Straße in schnellen Schwüngen über kleine Anhöhen und Kuppen, hinter denen sich manchmal Überraschendes verbirgt: Ein Wegkreuz am Straßenrand, ein kleines Wäldchen, das in der ansonsten kahlen Landschaft irgendwie fehl am Platz wirkt, ein parkender Kleinwagen, dessen Insassen mitten auf der Straße stehen und fotografieren, ein paar Schafe, die es sich auf dem Asphalt gemütlich machen. Und so pendelt das Auge immer zwischen der Weite der Hochebene und dem vor mir legenden Weg hin und her, saugt die Eindrücke ein und bleibt doch wachsam. Konzentration und Entspannung, Performanz und Kontrolle, Geschwindigkeit und Gelöstheit – hier kommt all das zusammen, was das Motorradfahren für mich so einzigartig macht.

Whitby Abbey-England-Drakula-Bram Stoker
Whitby-Abbey inspirierte Bram Stoker zu Drakula.

Viel zu schnell endet die Fahrt in Whitby. Die auf den Klippen hoch über der Stadt gelegene Abtei war Inspiration und Kulisse für den Schriftsteller Bram Stoker, der hier seinen Dracula an Land gehen ließ und den Ort über die Grenzen Yorkshires und England hinaus bekannt machte. Die Einwohner und Gäste danken es ihm mit einem jährlichen Gothic Festival, in denen allerlei dunklen Gestalten in den Gassen herum geistern. Heute und im hellen Tageslicht tummeln sich hier allerdings hauptsächlich Touristen. Auch Motorradfahrer sind darunter. Ihr Treffpunkt ist das Whistlestop Cafe am Bahnhof. Auch ich halte und stärke mich mit Cappucino und Lemoncake für die Weiterfahrt.

Bikertreffen auf der Teufelsbrücke

Einen weiteren Biker-Treffpunkt erlebe ich am nächsten Tag. Die Devil’s Bridge bei Kirkby Londsdale ist einer der bekanntesten Anlaufstellen für Motorradfahrer in Nordengland. Ein Parkplatz, eine Brücke und ein Van, aus dem Burger verkauft werden – mehr braucht es nicht, um an einem ganz normalen Samstag bis zu 4.500 Motorradfahrer herzulocken. Außer natürlich gute Motorradstrecken. Und von denen gibt es hier so einige, wie ich auf meiner Samstagsrunde feststelle.

Zunächst fahre ich über die A684 von Hawes nach Kendall, dann weiter auf der A683 zur Teufelsbrücke. Die circa vierzig Kilometer lange Strecke führt durch grünen Wiesen und rollende Hügel, die hier an der Grenze zwischen Yorkshire und Cumbria die Landschaft modellieren. Weiter geht es durch den Yorkshire Dales Nationalpark und damit durch offenes, felsiges Hügelland, das mit hartem, gelbem Gras bewachsen ist. Hier ähnelt die Fahrt einer Tour in der Achterbahn. Es geht rauf und runter, links und rechts, und das in einer so schnellen Folge, dass mein Magen zu hüpfen beginnt. Trotz flauem Gefühl im Bauch lege ich einen Zwischenstopp ein, um mich in der Wensleydale Creamery, der lokalen Käserei, mit dem berühmten Yorkshire Blue einzudecken. Dermaßen mit Proviant versorgt geht es am nächsten Tag über Alston und Hexham hinein in den Kielder Forrest Park. Dessen nördliche Grenze markiert den Übergang nach Schottland.

Willkommen in Schottland

Das obligatorische Foto des Motorrads mit einem Reifen in England dem anderen in Schottland spare ich mir. Direkt hinter dem „Welcome to Scotland“ scheinen die Regenwolken nur auf mich zu warten. Die Schleusen öffnen sie zum Glück erst, als ich schon fast in Moffat angekommen bin. Hier verbringe ich die Nacht im Buccleuch Arms (sprich: buck-lu arms), einer Motorrad-Herberge mit Stil und Tradition. Im Jahr 1760 als Station für Postkutschen auf der Durchreise gegründet, bietet das Gasthaus heute 13 Zimmer und heißt gerne müde Motorradfahrer willkommen. Während ich mir die Kälte aus den Knochen dusche, trocknet mein treues Stahlross nebst Helm und Jacke in einer der einzeln abschließbaren Motorradgaragen. Zu einem kleinen Spaziergang durch die verregnete Stadt raffe ich mich noch auf, den Rest des Abends verbringe ich im Restaurant und an der Bar und unterhalte mich mit Barmann Jack über das Motorradfahren. Er stellt mich einigen lokalen Rittern der Landstraße vor, die mich mit Tourentipps geradezu überschütten. Schütten tut es auch draußen, und so gehe ich mit etwas bangem Herzen ins Bett und richte ein Nachtgebet an den Wettergott.

Engand-Motorradtour-St Marys Loch
Diana’s Moffat Morgenrunde. St. Marys Loch im Frühnebel.

Morgenrunde durch Moffat Waters

Der scheint mich erhört zu haben, denn am nächsten Morgen ist der Regen weitergezogen. Spontan entschließe ich mich, vor meiner eigentlichen Tagesetappe in Richtung Westen eine kleine Rundfahrt in Richtung Osten zu unternehmen, die mir am Vorabend sehr eindrücklich empfohlen wurde. Von Moffat aus fahre ich auf der A708 Richtung Nordosten und gelange sofort in die wilde Landschaft der Moffat Hills. Die Hügel gehören zu den Southern Uplands, der südlichsten und am wenigsten bevölkerten schottischsten Region. Nur wenige Touristen besuchen diesen Teil des Landes, der zu früher Stunde seine ganze Schönheit offenbart. Die bewaldeten Hänge sind vom Morgennebel umwabert, während ihre Gipfel schon in der Sonne leuchten. Irgendwo links von mir müsste der White Coomb liegen, mit 821 Metern der höchste der Moffat Hills. Sein Anblick wird mir jedoch von einer vorgelagerten Bergkette verstellt, die ihren Schatten auf die Straße wirft.

Dort, wo ich in das Halbdunkel eintauche, ist es noch kühl. Über dem feuchten Asphalt schmeckt die Luft würzig und nach Kräutern. Auf den sonnigen Abschnitten hat sich die Nässe schon verflüchtigt, der Fahrtwind fühlt sich warm an. Kein Verkehr, keine Menschen, nur ein einzelner Vogel zieht seine Runden über dem Tal. Es könnte ein Habicht sein, oder auch ein Bussard auf der Suche nach Beute. Auf jeden Fall ist sein Flug gleichmäßiger als meine Fahrt, denn die Straße schlängelt sich wie ein Wasserlauf durch das Tal, folgt der Topographie der Landschaft, führt kurvig mal rauf, mal runter. Unebenheiten, kleine Buckel und vereinzelte Löcher lassen das Motorrad hüpfen und das Adrenalin fließen. Ich fühle mich so wach und frisch wie man es nur sein kann, genieße den freien Lauf auf dem Motorrad und wünschte mir, die Fahrt würde nie enden. Und fast tut sie das auch nicht, denn vor lauter Begeisterung verpasse ich glatt meinen Abzweig und hänge an die kleine Extra-Runde noch einen Extra-Umweg dran. Auf 120 Kilometer summiert sich die spontane Spritztour am Ende. Und so ist es fast Mittag, bis ich mich auf den Weg zu meinem eigentlichen Tagesziel mache. Von diesem trennt mich noch einmal die gleiche Distanz – wenn alles nach Plan läuft. Aber das tut es natürlich nicht.

Weiterfahrt mit Hindernissen

In New Galloway beginnt der Queens Way, der mich durch den Galloway Forest Park bringen soll. Der knapp 780 Quadratkilometer große Nationalpark ist dicht bewaldet und soll unberührte Wildnis, spektakuläre Aussichten und dramatische Landschaften bieten. Ob er das wirklich tut, kann ich allerdings nicht beurteilen, denn der Queens Way, die einzige befahrbare Straße durch den Nationalpark, ist gesperrt. Ein freundlicher Waldarbeiter erklärt mir in breitesten Schottisch, dass der gestrige Sturm einen Baum quer über die Straße geweht hat. Selbst mit dem Motorrad käme ich da nicht vorbei. Eine Alternative gäbe es nicht, ich müsse den Park auf der Südseite komplett umfahren. Wo genau ich da langfahren soll, das wisse er auch nicht. Er empfiehlt mir, einfach los zu fahren, das Navi würde mir dann ja irgendwann sagen, wie es weitergeht.

Da mir sonst auch nichts Besseres einfällt, folge ich seinem Rat. Ich fahre zunächst auf der A 765 entlang des Ufers des Loch Ken. Bei Laurieston treffe ich auf die Kirk Road, eine Verlängerung der B795 in westliche Richtung. Die Straße ist nicht breiter als drei Meter und wenngleich sie durchgängig asphaltiert ist, so wirkt sie stellenweise doch eher wie ein Feldweg. Getrockneter Matsch, Traktorspuren, Viehgitter und die Hinterlassenschaften der unzähligen Schafe, die entlang der Strecke grasen, betonen den ländlichen Charakter. Da ich aufgrund der Straßenverhältnisse selten schneller als 60 oder 70 km/h fahren kann, zieht sich die Reise. Mittlerweile ist es 17 Uhr, ich bin seit über acht Stunden unterwegs. Bei Creetown habe ich endgültig genug. Nur die gut ausgebaute und schnell zu befahrende A75, auf die ich hier endlich stoße, bewirkt, dass ich die Tagesetappe nicht vorzeitig abbreche.

England-Portpatrick-Dorf am Meer
Portpatrick, das idyllische Dorf am Meer … vor dem Regen.

Weißes Dorf am blauen Meer

Zum Glück, denn sonst hätte ich Portpatrick verpasst. Das kleine Dorf am Meer, dessen weiße und pastellfarben gestrichene Häuser sich rings um ein gemauertes Hafenbecken gruppieren, war einst ein bedeutender Fährhafen. Heute dümpeln im Hafenbecken des 500-Einwohner-Ortes nur kleine Fischer- und Segelboote, es geht beschaulich. Ich strecke meine Beine bei einem kleinen Spaziergang entlang der rauen Klippen, danach gibt es frischen Fisch und ein Bier im Pub mit Blick auf den Sonnenuntergang. Der Wirt meint, ich soll die letzten Strahlen genießen, im Abendlicht könne er schon eine Schlechtwetterfront über das Meer heranziehen sehen. Mir scheinen seine Worte wie Unkenrufe, doch wie Recht er mit seiner Vorhersage hat, sehe ich am nächsten Tag.

Wasser marsch

Der Morgen beginnt grau und dunstig. In der Luft hängt die Feuchtigkeit wie ein nasses Tuch, das mir beim Losfahren am Visier festklebt. Nach nur wenigen Kilometern setzt Nieselregen ein. „Hört bestimmt gleich wieder auf“, denke ich und werfe einen hoffnungsvollen Blick in Richtung der geschlossenen Wolkendecke. Links und rechts der kleinen, gewundenen Landstraße drücken sich die Schafe eng aneinander und strecken ihre wollenen Hinterteile in den Wind. Der Asphalt ist brüchig, Traktoren haben eine rutschige Schlammschicht hinterlassen. An den Einfahrten zu den Wiesen liegt Kies, der mich ins Schlingern bringt. Als ich bei Sandhead die A716 erreiche, wird der Niesel zum Starkregen. Schneller, als ich das Wort Regenjacke auch nur denken kann, bin ich nass. Das Wasser drückt sich über die Handschuhe in den Ärmel meiner Jacke. Es läuft mir vom Helm in den Kragen, weiter in den Nacken und kalt den Rücken herunter. Die Nähte am Hosenboden halten der Feuchtigkeit nicht stand, auch an den Hosenbeinen dringt Wasser ein und gelangt in die Stiefel. Ich spüre, wie meine Socken sich voll saugen.

Sonne über dem Leuchtturm

Ich halte Ausschau nach einem Parkplatz mit Überdachung, oder besser noch einem Café oder einer Tankstelle, aber nirgendwo bietet sich die Aussicht auf ein trockenes Plätzchen. Trotzig fahre ich weiter durch den Regen und fange dabei sogar an, die unregelmäßigen Schwünge der Straße zu genießen. Links von mir kann ich das Meer sehen. Die Wellen tragen weiße Schaumkronen über das graue Wasser bis an die breiten Sandstrände, die bei schönem Wetter sicher gut besucht sind. Heute sind sie allerdings ebenso leer, wie die Straße vor mir. Bei dem Wetter hat außer mir wohl niemand Lust auf einen Ausflug. In dem kleinen Ort Drummore endet die Straße. Nach links schließt sich ein schmaler, geteerter Weg an, der eher wie die Zufahrt zu einer Farm als eine Straße wirkt. Hier biege ich ab und fahre erneut durch Schafsweiden. Ich konzentriere mich so sehr darauf, auf der nassen Straße nicht wegzurutschen und zumindest den größten Pfützen auszuweichen, dass ich nicht einmal bemerke, wie der Regen ganz plötzlich aufhört. Doch auf einmal reißen die Wolken auf, der Himmel leuchtet strahlend blau, das Gras wechselt in Sekunden seine Farbe von schlammbraun zu smaragdgrün. Auf der Anhöhe vor mir steht strahlendweiß der Leuchtturm, der den Mull of Galloway markiert, den südlichsten Punkt Schottlands. Ich bin am Ziel meiner morgendlichen Schlechtwetterfahrt.

Ich parke und umrunde zu Fuß den Leuchtturm. Von hier soll man angeblich das britische Festland, Irland und die Isle of Man sehen können. Da die Sicht über dem Meer allerdings noch nicht aufgeklart ist, erkenne ich nur Schemen. Doch wichtiger als die Aussicht ist mir in dem Moment ohnehin die kleine Teestube im Besucherzentrum. Im „Restroom“ halte ich minutenlang alle möglichen Körperteile unter den elektrischen Handtrockner. Mit verfrorenen Fingern umklammere ich einen heißen Becher Tee. Zusammen mit der Sonne treibt der mir tatsächlich irgendwann die Kälte aus den Knochen.

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Kirkcudbright. So stellt man sich als hungriger und müder Biker ein Hotel in Schottland vor.

Good-bye Scotland, hello Lake District

Vom Mull of Galloway aus folge ich der Küste entlang des Solway Firth. Der Meeresarm ist ein Teil der Irish Sea und trennt die Südküste Schottlands von der Westküste Englands und dem Lake District, wohin ich als nächstes unterwegs bin. Dazwischen liegt eine Übernachtung in Kirkcudbright (sprich: Kör-kuu-bri). Den kleinen Marktflecken mit Hafen am Ufer des Flusses Dee habe ich mir aus einem ganz bestimmten Grund als Quartier für eine Nacht ausgesucht. Und der Grund heißt: Dorothy Sayers. Neben Agatha Christie ist die 1893 geborene Sayers eine der ganz großen Damen des englischen Detektivromans. Ihre „„Fünf falschen Fährten“ (englisch „Five Red Herrings“) aus dem Jahr 1931 gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Und es spielt in Kirkcudbright, das damals eine bekannte Künstlerkolonie war. Die Künstler haben zahlreiche Spuren hinterlassen haben. Doch trotz Kunstmuseum, Galerien und zahlreicher Skulpturen im Straßenraum wirkt der Ort auf mich eher verschlafen. Und um einen Pub für das Abendessen zu finden, muss ich selber detektivische Fähigkeiten aufbringen.

Am nächsten Tag verlasse ich nach nur drei kurzen Tagen und mit etwas Bedauern Schottland und fahre zurück nach England. Mein Ziel erreiche ich am späten Nachmittag. Keswick ist einer der populärsten Orte im Lake District. Der Nationalpark verzeichnet jedes Jahr circa 14 Millionen Besucher. Die meisten kommen zum Wandern, Bootfahren oder Fischen. Aber auch unter Motorradfahrern ist die Gegend beliebt. Dies wurde mir glaubhaft versichert von einem, der es wissen muss.

England-Blood Biker
Diana trifft Rod, den Blood-Biker.

Unterwegs mit einem Blutbiker

Rod Wickham habe ich auf einer Motorradmesse in Birmingham kennengelernt. Dort schwärmte er mir vom Lake District vor und lud mich ein, ein paar Tage in seinem Portland House, einem motorradfreundlichen B&B, zu verbringen. Rod ist selber leidenschaftlicher Motorradfahrer und aktives Mitglied bei Blood Bikes Cumbria. Was nach einer martialischen Motorradgang klingt, ist in Wahrheit ein wohltätige Organisation. Seit 1962 ist die Nationwide Association of Blood Bikes, so der offizielle Name, in England, Schottland, Wales und Irland als kostenloser Kurierdienst aktiv. Die insgesamt circa 39.000 Freiwilligen liefern in Notfällen nachts und am Wochenende per Motorrad Blutkonserven oder Medikamente in Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen. Rod selber übernimmt ein- bis zweimal im Monat einen Bereitschaftsdienst mit dem „Blutmotorrad“. Die BMW K1200 ist mit speziellen Transportkoffern ausgestattet und verfügt außerdem über Blaulicht und Sonderlackierung. Privat fährt Rod eine 1200 GS. Und die holt er raus, um mit mir eine kleine Runde zu drehen.

Es geht zunächst über den Honister Pass, der die kleinen Orte Borrowdale und Buttermere am gleichnamigen See miteinander verbindet. Die Passstraße schlängelt sich zunächst eng gewunden durch das Tal, die Fahrt ist eine Aneinanderreihung kurzer, knackiger Schwünge, sie so richtig Laune machen. Ein bisschen störend sind die Autos, die auf der einspurigen Straße deutlich langsamer als wir unterwegs sind. Doch in der Regel machen die Fahrer Platz, um uns vorbei zu lassen. Ob aus reiner Freundlichkeit geschieht, oder weil Rod’s Motorradkutte einer Polizeijacke täuschend ähnlich sieht, sei mal dahingestellt. Wir bedanken uns mit einem kurzen Winken und ziehen weiter. Mächtig und kahl stehen die von Gras und Heidekraut hier nur spärlich bewachsenen der Berge zu beiden Seiten der Straße. Dann schicken wir uns, den Pass zu erklimmen. Mit bis zu 25 Prozent Steigung geht es bis auf 356 m hinauf. Oben angekommen halten wir kurz an und genießen den Blick über das felsige Hochland, von Gräsern durchsetzt und vom Wind gepeitscht. Wir setzen unsere Fahrt durch enge Kurven fort. Hinter einer tauchen plötzlich die dunklen Wasser des Buttermere auf. Der Anblick des zwei Kilometer langen Sees kommt so überraschend, dass ich spontan bremsen muss, um ein zweites Mal hinzusehen – sehr zum Unmut des Autofahrers, den ich gerade erst überholt hatte. Motorrad fahren und Landschaft gucken – das geht auch nicht immer gut zusammen.

Im Örtchen Buttermere kehren wir im Syke Farm Tearoom auf ein Heißgetränk und einen Scone ein. Das süße Brötchen wird mit Marmelade und Milchrahm (Clotted Cream) bestrichen und schmeckt einfach nur… himmlisch. Von Buttermere aus ließen sich noch mehrere Pässe zu einer Rundtour kombinieren. Wir aber beschließen, den Honister Pass noch einmal in Gegenrichtung zu befahren.

Wieder zurück im B&B schließe ich das Motorrad in Rods Hinterhof an. Dort darf es sicher verwahrt stehen bleiben, während ich zehn Tage lang wandernd den Lake District erkunde.

Hier geht’s zum zweiten Teil von Diana’s Motorradtour durch England mit ihrem Besuch beim Isle of Men Festival of Motorcycling.

Über die Autorin

Diana lebt mit ihrem Mann in Bloubergstrand an der wunderschönen Tafelbucht. Die Liebe und ihre Leidenschaft zum Motorradfahren führten sie von Deutschland nach Südafrika, wo sie den täglichen Blick auf Kapstadt und den Tafelberg genießt, wenn sie nicht auf Motorradtour ist. Zusammen mit ihrem Mann Joe betreibt sie Due South Motorcycle Tours und führt insbesondere deutschsprachige Motorradreisen durch Afrika. Zur Motorrad-Reisereporterin wurde Diana durch SHE is a RIDER, das deutschsprachige Motorradmagazin für Frauen. Mehr Motorrad-Geschichten von und mit Diana findest du auf SHEisaRIDER.de unter Motorradtouren & Events.

Due South Motorcycle Tours Südafrika
Due South Motorcycle Tours Südafrika mit Diana und Joe

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