Letztes Jahr frustrierte mich meine berufliche Situation immer mehr und ich wollte etwas machen, das mich ausfüllt. Es dauerte nicht lange und der Gedanke war geboren, die zwei großen Leidenschaften in meinem Leben zu kombinieren: Reisen und Motorradfahren. Ich will Motorrad Tourguide werden!
Und so kam alles ins Rollen
Ich besuchte die Webseiten einiger Touranbieter, um herauszufinden was es braucht, ein Motorrad-Tourguide zu werden. Und bei Edelweiss Bike Travel fand ich noch mehr: Eine Stellenausschreibung!
Und so nahm alles seinen Lauf. Auf meine Bewerbung folgten die ersten Interview-Tage im Dezember 2023. Edelweiss hatte aus ungefähr 250 Bewerbungen rund 50 Personen eingeladen. So musste ich mich vor Ort in Österreich zwei Tage lang vorstellen und präsentieren. Es gab einige Aufgaben, auf die ich mich vorbereiten musste und die ich dann vor Ort präsentieren sollte. Und dann gab es noch mit allen Abteilungsleitern und der Geschäftsführung ein lockeres Interview in offener Runde.
Auf dem Rückweg nach England, meine derzeitige Wahlheimat, war meine Aufregung schon sehr groß, mehr denn je wollte ich genau diesen Job! Auch wenn ich mir noch nicht sicher war, wie sich das alles umsetzen lassen würde. Die Fragen im Raum waren, wie verbinde ich das mit meinem derzeitigen Job (Vollzeit war seitens Edelweiß keine Option) und rechnet sich das alles finanziell?
Wie wird man Motorad Tourguide?
Als dann noch vor Weihnachten die Zusage kam, war ich überglücklich. Im Februar 2024 gab es dann ein 5-tägiges Training, das auch eine Vielfalt an praktischen Fragen klären konnte. Edelweiß hatte sich letztendlich für 16 Kandidaten entschieden und zu meiner Überraschung gab es nur noch eine andere Frau. Gemeinsam meisterten wir diese erste Trainingseinheit und die Energie und der Enthusiasmus zwischen allen Kollegen war ansteckend. Wir alle teilten dieselben Leidenschaften und schon hier wurden viele Geschichten und Erfahrungen ausgetauscht.
Mehr Frauen ins Team!
Wie zu erwarten war, bilden wir Frauen mit etwa 10% noch eine kleine Minderheit unter den Tourguides.
Aber jede einzelne von uns bringt ihre ganz eigene Energie in das Team. Die jüngste ist Mitte 20 und hat sich beeindruckender Weise noch vor dem Erwerb des Führerscheins beworben! Man muss allerdings dazusagen, dass sie schon früh mit dem Motorsport begonnen hat.
Eine sehr energetische Großmutter haben wir auch dabei, die trotz früher Familienplanung ihre Liebe zum Motorrad nie aufgegeben hat. Einige hat das Reisen motiviert sich zu bewerben für andere steht die Freude am Fahren im Mittelpunkt und so reichen unsere privaten Motorräder von Vintage-Motorrädern, über Adventure-Bikes hinzu Sportmaschinen. Alles geht solange es 2 Räder hat!
Gruppenführung in Theorie und Praxis
Die zweite Trainingswoche fand dann Ende April statt und dies war eine simulierte Tour durch Südtirol. Hier hatte jeder von uns mal die Gelegenheit, die Gruppe zu führen. Darüber hinaus mussten wir uns auch neben der Straße mit den typischen Problemen einer Reisegruppe herumschlangen. Dafür sorgten einige der mitreisenden Tourguide-Veteranen, die verschiedene Szenarien simulierten. So wurde bei mir zum Beispiel ein Unfall simuliert, die Gruppe fuhr vor, um Fotos beim Fahren zu schießen und danach kam ich an einen Unfallort. Hier hieß es einen klaren Kopf bewahren, sich um den Verletzten zu kümmern, den Rettungsdienst und die Kollegen im Begleit-Van zu alarmieren und die Unfallstelle abzusichern. Aber man musste sich auch mit Banalitäten einer Motorradtour herumschlangen, wie dass ein Gast sein Zimmer nicht akzeptabel findet oder dass ein Kunde sich beschwert, dass die Gruppe zu langsam unterwegs ist. Hier ist dann Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis gefragt, um die Situation zu entschärfen und eine Lösung bzw. Kompromiss zu finden, der den Kunden zufrieden stellt. Denn die Kundenerfahrung steht immer im Zentrum unserer Bemühungen.
Was soll ich sagen, die Tage waren lang und anstrengend, aber auch aufregend und spannend. Eben genau so wie eine “richtige” Motorradour auch ist. Du weißt nie, was dich am nächsten Tag erwartet.
Der Abschluss der Ausbildung gab es dann noch eine Woche in der Werkstatt, wo Basics vermittelt wurden. Zum Beispiel wie belade ich einen Hänger oder wie flicke ich einen Platten. Zusätzlich macht man sich mit den Motorrädern vertraut. Die Firma bietet ca. 30 verschiedene Modelle aller großen Hersteller an und die unterschiedlichen Programme und Bedienungseinstellungen sind eine echte Herausforderung. Hinzukommen die diversen Verbauungen. Nicht jede Batterie befindet sich unter dem Sitz und Zugänge verstecken sich oft hinter Abdeckungen.
Alles in allem bekommst du eine umfassende Einführung in die Rolle als Tourguide, den Rest erarbeitest du dir auf Tour.
Jetzt kann’s losgehen
Also nach ca. 3,5 Wochen Ausbildung war ich nun Motorrad-Tourguide und meine erste Tour fand Ende Mai 2024 für 2 Wochen Richtung Ost-Europa statt. Und diese erste Tour war in jeder Beziehung intensiv. Du machst ja alles zum ersten Mal und das mit zahlenden Gästen. Da steigt schon etwas die innere Anspannung und du hast es mit einem mal mit ganz neuen Herausforderungen zu tun.
Zum Beispiel das Navigieren mit einer Gruppe. Du kannst ja nicht einfach überall anhalten – mit 8 Motorrädern im Schlepptau! Auch hatte ich bis dahin noch nie mit Navi und vorgefertigten Routen gearbeitet, da ich privat mein Handy für die Navigation genutzt habe.
Wann hat ein Motorrad Tourguide Feierabend?
Und die Arbeit hört nach der Motorradtour nicht auf, du musst dich wirklich als Reisebegleitung verstehen. Das fängt morgens beim Frühstück an und hört abends nach dem Essen auf, wobei du hier dann all die Dinge machst, die noch nebenbei zu erledigen sind. Da bereite ich mich nochmal explizit auf den nächsten Fahrtag vor, schreibe den obligatorischen Blogeintrag, mache meine Tagesabrechnung und gegebenenfalls beantworte ich offene Emails.
Gut ist viele Touren werden im Team von zwei oder drei Kollegen gefahren, was den Einstieg erleichtert. Die Teamarbeit ist super und es gibt immer jemanden, der dir mit Rat und Tat zur Seite steht. Und wenn du erst einmal ein paar Motorradtouren gefahren bist, sieht das ganze schon viel entspannter aus. Mit der Routine kommt die Ruhe und du findest dann auch die Zeit, mit deinen Gästen ein Glas an der Bar zu Trinken und gemeinsam einen netten Abend zu haben.
Und dann ist da ja auch noch das eigene Leben. Nur weil ich nicht zu Hause ist, bleibt die Welt nicht stehen. Abends ist oft auch die Zeit, wo ich meinen Partner anrufe. Er unterstützt mich zum Glück bei meiner Tätigkeit und findet es total toll. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, da ich im Sommer viel weg bin. Du musst den Anderen da irgendwie mitnehmen. Pete versteht mich einfach, da er genau wie ich die Leidenschaft fürs Motorradfahren und Reisen in sich hat.
Der Lohn für Deine Mühe
Die Tage sind lang, aber die Arbeit ist auch extrem befriedigend. Du bekommst viel Anerkennung, speziell als Frau, und natürlich ist das Motorradfahren und all die Orte, die du besuchst, ein Riesenbonus. Die Touren wurden mit sehr viel Sorgfalt erstellt und so fährst du wirklich auf fantastischen Strecken. Ich erwische mich oft blöd grinsend unterm Helm, weil das Fahren einfach nur geil ist.
Du kommst an all die Top-Tourenziele, die du dir sich vorstellen kannst. Meine Touren in dieser Saison gingen von Osteuropa, in die Alpen, über den Balkan nach Griechenland und als Abschluss noch nach Südspanien. Einige meiner Kollegen sind am Nordkap und Norwegen unterwegs oder im Süden bis runter nach Marokko. Mit etwas Erfahrung besteht dann auch die Möglichkeit, an Ziele weltweit geschickt zu werden, wenn du das möchtest.
Die menschlichen Berührungspunkte sind aber auch nicht zu vernachlässigen, zum Beispiel wenn Gäste nach der Tour zu dir kommen und sagen, wie toll es war. Oft wird sich hier ein Lebenstraum erfüllt. So hat mir eine Kundin nach der Tour geschrieben, wie dankbar sie ist, da dies aus Altersgründen für sie und ihren Mann die letzte größere Motorradtour war und dass wir ihren Motorradurlaub zu etwas ganz Besonderem gemacht haben! Das bewegt auf jeden Fall.
Motorrad Tourguide – (M)ein Traumjob?
Kann man also sagen es ist ein Traumjob? Auf jeden Fall! Auch wenn das Arbeitspensum weit über dem liegt, was sich viele eventuell vorstellen und man garantiert nicht reich dabei wird. Aber dafür ist der Job abwechslungsreich, spannend, macht viel Spaß und bestenfalls fühlt es sich an, als ob du mit Freunden unterwegs bist. Finanziell kommt man auch über gut über die Runden, insbesondere wenn das Trinkgeld stimmt. Der einzige Nachteil ist, es ist eine saisonale Tätigkeit und für die andere Hälfte im Jahr muss man sich gegebenenfalls was anderes suchen.
Mehr Frauen ins Team
Ich werde in der Saison 2025 wieder am Start sein und würde mich riesig freuen, mehr Frauen in diesem Job zu sehen. Man muss nicht die beste Motorradfahrerin sein oder sich überall auskennen. Voraussetzungen sind Deutsch- und Englischkenntnisse, Reiselust, sowie Freude am Fahren und dem Umgang mit anderen Menschen. Alles andere findet sich schon und die Erfahrungen sind unbezahlbar!
Für weitere Eindrücke kannst du gerne mein Instagram-Konto @herroadstories besuchen.
Du willst Motorrad-Tourguide werden?
Und wenn du dich direkt angesprochen fühlst und mehr wissen willst, die Stellenausschreibung gibt es hier.
Text: Franziska Jenetzky
Fotos: Franziska Jenetzky und Kevin Wing
Franziska kennen wir schon lange. Sie hat uns ihre Geschichte schon in unserem Format RIDER of the WEEK erzählt.
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