Hallo, wie heißt du bitte? Silja
Und wie alt bist du? 47 Jahre
Was ist dein Job?
Ich stehe mit zwei Beinen im Berufsleben. Das Eine ist die gemeinsame Firma mit meinem Mann. Wir entwickeln Lösungen für Controlling-Abteilungen. Mit dem zweiten Bein bin ich Team Coach und Business Tutorin. Ich unterstütze Menschen Klarheit für ihr Unternehmen und ihr Team zu bekommen.
Seit wann fährst du Motorrad?
Den Führerschein hatte ich mit 23 und bin dann viele Jahre sehr aktiv gefahren. In dieser Zeit habe ich auch das Alleinreisen für mich entdeckt. Mit 36 habe ich für ein paar Jahre andere Prioritäten gesetzt. Jetzt fahre ich wieder und es kommen erneut Reisepläne und Reisen dazu.
Wie und warum bist du zum Motorradfahren gekommen?
Auf dem Brandenburger Land, wo ich aufgewachsen bin, sind alle „Simme“ gefahren. Jede/r Jugendliche wollte ein Moped haben, ich auch. Leider haben meine Eltern nicht mit sich reden lassen. Ein für mich sehr unspannender SR1-Roller wäre drin gewesen – „da kannst du mit Rock fahren“ – ???.
Also habe ich verzichtet und andere Dinge getan, wie den Mauerfall erleben, ausziehen, Lehre und Abitur beenden, über den Atlantik segeln und eine erste Festanstellung starten. Mit 23 Jahren habe ich dann meine ersten Gehälter fast direkt in die Fahrschule und zum Motorradhändler getragen. Und wie zu erwarten, wurde das erste Motorrad dann auch kein Roller, sondern eine Yamaha TT600E. Dieser folgte kurze Zeit später eine Honda XR400R.
Nach einem wirklich schmerzhaften Geländesturz und meinem neuen Fokus auf das Reisen habe ich mit meiner Honda VFR800 dann mein jahrelanges Traummotorrad gefunden.
Welches Motorrad fährst du? Warum hast du diese Maschine gewählt?
Seit letztem Sommer fahre ich eine Africa Twin mit DCT. Die Africa ist es aus genau zwei Gründen geworden.
Wir haben als Familie lange in Graz gelebt. Beim Umzug nach Deutschland haben wir unsere Motorräder, die VFR und eine Ninja, verkauft. In den nächsten Jahren lag der Fokus vor allem auf dem Aufbau unserer Firma. Doch unabhängig voneinander fehlte uns das Motorradfahren und wir beschlossen aus Vernunftgründen (kleines Kind, super wenig Zeit durch die Firma) ein Motorrad zu kaufen. Für mich war klar, dass es dann nur eine neue VFR sein kann. Da hieß es für meinen Mann flexibel sein und VFR fahren – genau 9 Monate lang! Die Vernunftidee mit dem einen Motorrad hat nicht funktioniert. Mein Mann hat sich für die BMW 1250 GS entschieden. Und so fuhren wir zwei Sommer mit der neuen VFR und der BMW gemeinsam dahin.
Grund eins für die Africa Twin: Die neue VFR war nicht meine alte VFR. Honda hatte mit den Versionen die Motorcharakteristik verändert. Die neue VFR war sportlicher, hochtouriger zu fahren. Das lag mir weniger. Wahrscheinlich bin ich doch eher Traktorfahrerin als Sportwagen-Tante 😉
Grund zwei für die Africa: Wir erinnerten uns, wie gut die VFR und Ninja bei der Streckenplanung harmonierten. Die GS und VFR passten da weniger gut zueinander. Manches Mal hat es mich hart geschüttelt, während mein Mann sehr erholt irgendwo ankam. Inzwischen war auch klar, dass mein Mann seine GS nicht mehr hergibt. Also war es an mir flexibel zu sein und ein zur GS passendes Motorrad zu finden. Der Rest ging dann ganz schnell. Die neue Honda Africa CRF1100L kam auf den Markt. Ich bin sie einen ganzen Sonntag on- und offroad Probegefahren und am Montag habe ich den Tausch mit dem Händler besprochen.
Was bedeutet dir Motorradfahren heute?
Im Alltag bedeutet Helm aufsetzen und losfahren für mich sehr zuverlässig die Akkus aufzutanken. Ich verzichte auch bewusst auf Kommunikationssysteme, die Zeit unterm Helm gehört mir und meinen Gedanken.
Für mich aber ebenso wichtig und mit einer riesigen Freude versehen, ist das wieder mögliche Reisen und Planen von längeren Reisen nach der sehr schönen, aber auf die Familie-fokussierten Dekade. Das wird meine ganz persönliche „Nach-Mama-Zeit“ und die Klammer um meine verschiedenen Leben.
Was bewunderst du an anderen Motorradfahrern/Fahrerinnen?
Ich mag es sehr gern, wenn eine Person mit ihrem Motorrad Spaß hat und die ganze Palette von Sportlichkeit über Coolness bis gechillte Ruhe, je nach persönlicher Tagesform, bespielt. Sehr sympathisch finde ich es, wenn Motorradfahrer von sich aus Anspruch und Gelegenheit zusammenbringen. Rennstrecken- und/oder Endurotraining, Kurven-Spezials usw. – je nach Gusto. Die Suche nach dem Limit gehört für mich nicht in den Straßenverkehr. Bis auf eine Ausnahme, manche Mit-Verkehrsteilnehmer zerren ganz schön an meinem „Buddha-Limit“, Stichwort Spurwechsel ohne Blinker und Abstand oder vor´s Vorderrad schnippsende E-Bike-Fahrer….
Was war deine größte Herausforderung bisher?
Herausforderungen gibt es immer wieder. Die Letzte war der geplante Kauf der Africa und die damit verbundenen Rückfragen aus dem wohlmeinenden Umfeld, ob ich so ein großes Motorrad überhaupt halten kann. Tatsächlich habe ich mich ein paar Wochen lang verunsichern lassen, ob sie nicht doch zu groß für mich ist und ob ich dieses Motorrad halten kann. Aus dieser seltsamen Gedankenspirale haben mir zwei Dinge geholfen. Ein trockener Kommentar meines Mannes „Ein Motorrad hält man nicht, ein Motorrad fährt man.“ Und die Vorstellung zukünftiger Situationen. Klar gibt es Momente, in denen ein handlicheres Motorrad idealer ist. Aber vielmehr schöne (Reise-)Situationen kann ich mir vorstellen, wo ich mich über die Power freue. Und nun bin ich mit ihr echt glücklich und muss jedes mal grinsen, wenn ich neben ihr stehe und der Rückspiegel im aufgebockten Zustand direkt neben meinem Ohr ist. Eben, weil sie so groß ist 😉
Gab es schon Mal eine brenzlige Situation? Was war es und wie hast du reagiert?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde stets so abgeklärt zu sein, dass ich mich nicht schon selbst in brenzlige Situationen gebracht habe oder habe bringen lassen. Natürlich bin ich auch schon mit Motorrad-Cliquen völlig sinnbefreit um die Kurven gerast, habe auf unbekannten Strecken mein Motorrad abgelegt und bin trotz Durst und Hunger „nur noch schnell die 200 km“ zu Ende gefahren.
Wie gehe ich damit um? Nüchtern und analysierend beschreibt meinen Umgang wohl am ehesten. Hinterher atme ich tief durch, reflektiere für mich meinen Anteil am Geschehen und vermeide das emotionalisieren und überzeichnen im Sinne von „was hätte nicht alles passieren können.“ Ich sehe das sportlich „nach der Situation ist vor der Situation“ und beim nächsten Mal berücksichtige ich das neue Wissen, sodass ich einen Fehler nicht zwingend zweimal mache.
Was war dein schönstes Erlebnis?
Es gab so viele schöne Erlebnisse, ich habe meinen Mann an der Tankstelle kennengelernt. Ich habe im Nachkriegsjugoslawien in fremden Kinderzimmern geschlafen, weil die Frauen der Dörfer mich als Alleinreisende „quasi unter ihren Tochterschutz“ gestellt hatten.
Immer wieder gab es Begegnungen, Landschaften und Erlebnisse, die mich laut oder leise berührt haben. Der fremde Motorradfahrer, der mir morgens bei 2° Celsius auf der Autobahn freiwillig seinen Windschatten überlassen hat und mit dem ich beim gemeinsamen Raststätten-Kaffee kein Wort wechseln konnte, weil wir zwei so gefroren haben, dass nur mehr Lächeln und Zittern ging. Oder die Touren mit Freundinnen und Freunden durch dicke Regenwolken und die gemeinsamen Stunden danach. Das Freuen bei jedem Kennenlernen und dann Vertraut-werden mit einem neuen Motorrad.
Wo oder welche Strecke würdest du gern einmal fahren? Warum reizt dich das?
Tatsächlich möchte ich ins Tausend-Seen-Land und die dazugehörige Rallye anschauen …
Allgemein reizt mich vor allem das Losfahren am Morgen, das Schauen, Riechen, Fühlen und Mitbekommen von neuen Gegenden. Dieses dann doch nur Vorbeifahren und am Abend irgendwo ankommen, wo ich noch nicht gewesen bin.
Was würdest du dir selbst raten, wenn du jetzt mit dem Motorradfahren beginnen würdest? Drei Tipps aus deiner persönlichen Erfahrung?
- Suche dir dein Motorrad, eines das zu dir und deiner momentanen Situation passt. Und wenn du dir nicht sicher bist, fange einfach mit einem Fast-Passenden an. Man kann Motorräder auch wieder verkaufen.
- Geh auf die Cross-Strecke, mach Fahrtrainings oder fahr Sonntagsmorgens mit einem Kaffee für dein persönliches Geschicklichkeitstraining in ein stilles Gewerbegebiet – hab einfach Spaß beim Üben und Besserwerden.
- Warte nicht bis jemand mit dir fahren mag oder Zeit hat. Nimm den Helm und fahr einfach los. Die besten Dinge passieren, wenn du allein unterwegs bist.
Warum sollte Frau Motorradfahren?
In meiner heutigen Welt sollte Frau Motorrad fahren, weil es die Unabhängigkeit und die eigenen Entscheidungen stärkt. Es ist ein verlässliches Mittel für einen ganz individuellen, egoistischen Glücksmoment und hilft super gegen die sich im Familienzirkus anschleichende Selbstaufgabe.
Mein jüngeres Ich hätte die Frage sehr geradeaus verstanden und mit „weil es mega ist“ geantwortet.
Ist da noch etwas, was du unseren Leserinnen gern mitteilen möchtest?
Lasst euch auf eurem Weg nicht aufhalten. Ich freue mich eure Wege zu kreuzen.
Ihr könnt Siljas Weg auf der Straße kreuzen oder auch hier.
Hallo Silja,
vielen Dank für Deine Worte. Du sprichst mir da sehr aus dem Herzen. Ich erkenne meine Situation oft in deiner. Es tut mir sehr gut, das zu lesen. Wir Frauen plagen uns ja doch oft mit zuviel Rücksichtnahme auf Gott und die Welt, mit zuviel Selbstzweifeln und zuviel Warten auf den richtigen Moment. Einfach machen. Einfach losfahren. Genau das ist es. Wenn es mir gut geht, kann es den anderen auch gut gehen.
Auch ich habe mir ein für mich neues, aber gebrauchtes Motorrad zugelegt. Von einer Transalp Bj 1993 nun zu einer NC750X. Ich fühle mich sehr wohl, es gefällt MIR. Ich freue mich wie ein Keks und bin sehr glücklich.
Auch ich fahre alleine los und treffe immer nette andere Motorradfahrer und führe dann oft gute Gespräche. Das würde mit Reisebegleitung nicht in dem Maße passieren.
Ich wünsche allzeit gute und sichere Fahrt mit wunderbaren Momenten.