Glück sei eines der wenigen Dinge, die mehr werden, wenn man es teilt. Ob das auch für
das Glück auf dem Motorrad gilt, wenn man es mit einem Beifahrer teilt? Hier scheiden sich
die Geister: mit oder ohne Sozius fahren? Meistens ist man nur bereit, jemanden
mitzunehmen, wenn’s gar nicht anders geht. Falls beispielsweise ein anderer mit dem
Motorrad liegen bleibt, würde man ihn gnädigerweise bis zur nächsten Raststätte
mitnehmen. Aber leidenschaftlich mit Sozius fahren – geht das überhaupt? Ja.
Zu zweit auf einem Motorrad zu fahren ist zuerst eine Umstellung. Es beginnt mit dem
Aufsteigen: wer denn jetzt zuerst? Und wie kommt der Beifahrer auf die kleine,
hochgelegte Abschussrampe gekrabbelt, ohne das ganze Gespann samt Fahrer
umzureißen? Am besten mit Ruhe – und einer Portion Gelenkigkeit, die manche
Motorradmodelle einfach mal voraussetzen. Sitzt das lebendige Gepäck im Sattel, kann’s
losgehen. Beim Anfahren darf man ab jetzt etwas sanfter am Gas sein, sonst sitzt man nach
ein paar Metern auch schon wieder alleine auf dem Gefährt. Ich hätte beinahe mal einen
Sozius verloren – und das auf meiner 8PS-Maschine. Geht also.
Was macht der Sozius in Schräglage?
Wenn die Kiste in Fahrt kommt, folgt mit der nächsten Kurve die nächste Herausforderung:
was macht der Sozius in Schräglage? Steif wie ein Pommes sitzenbleiben oder locker aus
der Hüfte mit in die Kurve schwingen: beides gibt es, und mit beidem kann man gut
umgehen. Den beliebten Satz “der Beifahrer muss sich mit in die Kurve legen!” halte ich für
überzogen. Auch mit einem steifen Beifahrer lässt es sich entspannt und locker fahren. Je lockerer der Fahrer, desto lockerer wird auch der Beifahrer mit der Zeit. Wie ängstlich der
Beifahrer ist, kann man vor Fahrtantritt ganz einfach erfragen. Und sich entsprechend auf
den Hintermann einstellen. Wenn vorne jetzt der Angeber sitzt, der doch mal zeigen will,
dass Schräglage in schnellen Kurven ja total easy ist, hat er den Anschluss zum Sozius und
dessen Vertrauen vielleicht für immer verloren.
Kommunikation ist King – Wieder mal …
Generell empfiehlt es sich, dass beide – Fahrer und sein lebendiges Gepäck – sich
abstimmen. Welche Geschwindigkeit ist okay, was soll der Beifahrer beim Bremsen tun, wo
soll er sich festhalten? Ich vereinbare mit meinen Beifahrern gern Zeichen. Handzeichen wie
Daumen rauf oder runter versteht man auch bei lauten Windgeräuschen. Plane ich ein
Überholmanöver, hat sich das Andrücken der Hand des Beifahrers an meine Seite als
praktikabel erwiesen. Dann weiß er: jetzt bitte festhalten. Und er ist vorbereitet und nicht
überrumpelt.
Mit Sozius sehen wirs positiv
Beim Fahren zu zweit spielt auch das Gewicht des Beifahrers eine Rolle. Auf das Verhältnis
kommt es an. Als 60 Kilo-Frau wird man’s mit einem 120 Kilo-Beifahrer möglicherweise
schwer haben. Andersrum sieht’s besser aus. Moment – nicht immer. Beim Absteigen kann
auch ein sehr leichter Beifahrer die wackelige Chose aus dem Gleichgewicht bringen. Ich lag
mal flux mit meiner Tochter und dem Moped vor der Eisdiele, da sie es nicht erwarten
konnte, eine Kugel Erdbeereis zu kriegen. Da reichten auch mickrige 30 Kilo, um den
Kipppunkt in einem unerwarteten Moment zu überschreiten. Das schöne dabei: man hat
auch direkt einen Helfer beim Wiederaufrichten.
Ob alleine oder zu zweit ist nicht nur eine Glaubens-, sondern auch eine Zutrauensfrage.
Plötzlich die Verantwortung für zwei zu tragen, die Unberechenbarkeit des Beifahrers mit
einzurechnen – das erfordert etwas Mut und Selbstvertrauen.
Aber wenn an einem sonnigen Tag zwei Menschen auf einem Motorrad zu einer Einheit
verschmelzen, eins mit der Maschine werden und sich gemeinsam den Wind und die
Freiheit um die Nase wehen lassen – im blinden Vertrauen, dass alles gut wird – dann bin ich
gerne bereit, diesen Mut aufzubringen.
Bis in 2 Wochen zu meiner nächsten Motorradkolumne.
Eure Claudia
In der zweiwöchentlichen Motorrad-Kolumne “Perspektivwechsel” von Motorradcoachin Claudia dreht sich alles um unser geliebtes Zweirad und die Menschen, die es fahren. Mit ihren Geschichten über Gedanken, Gefühle und alles, was sich beim Fahren “zwischen den Ohren” abspielt, gibt sie neue Impulse für einen Perspektivwechsel.
Mehr zu Claudia, ihrer Arbeit als Motorradcoachin sowie direkte Kontaktmöglichkeiten findet ihr hier oder bei Insta und Facebook.
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