Schreckmomente richtig nutzen – Claudias Motorradkolumne

Perspektivwechsel - Die Motorradkolumne auf SHE is a RIDER - Alle 14 Tage neu

Schreckmomente beim Motorradfahren
Schreckmomente beim Motorradfahren. Haben wir alle, aber wenn Du damit richtig umgehst, kannst Du daraus lernen. Claudia sagt uns wie es geht.

Jeder kennt es: man fährt auf dem Motorrad gemütlich dahin, entspannt und doch
aufmerksam, nichtsahnend, was da gleich auf einen zukommt … und plötzlich taucht etwas
wie aus dem Nichts auf, das uns einen riesigen Schreck einjagt. Wir erschrecken uns
fürchterlich, und selbst wenn nichts passiert, ist das entspannte Fahren erstmal dahin. Der
Herzschlag ist beschleunigt, die Atmung geht schneller, die Finger sind zittrig, die Schultern
hochgezogen und der ganze Körper angespannt. Landschaft genießen? Fehlanzeige.

Schreckauslöser

Für so einen Schreck gibt es verschiedene Auslöser: eine sich zuziehende Kurve, Rollsplitt
oder Schotter in der Schräglage, ein plötzlich einsetzender Regenguss oder ein Warnschild,
dass irgendwo ein Ölfleck auf den arglosen Motorradfahrer lauert. Bei manchem genügt
auch die Ankündigung einer Kehre oder einer für ihn herausfordernden Fahrsituation. Jeder
hat seine eigenen Schreckauslöser und auch die Intensität variiert. Was jedem Schreck
gemeinsam ist: der Fahrer nimmt 1. plötzlich ein Ereignis wahr, das 2. überraschend für ihn
eintritt und das er 3. für bedrohlich erachtet. Das alles passiert in Bruchteilen von Sekunden.
Der Raum zwischen Reiz und Reaktion ist gefühlt unfassbar kurz, aber die unbewusst
ablaufenden Prozesse sind ungleich komplexer.

Was passiert da?

Unsere Körpergefühle können wir – wie oben beschrieben – unmittelbar nach dem Schreck
am eigenen Leibe erfahren. Wenn wir uns erstmal richtig erschrocken haben und der
Adrenalinspiegel aufgeputscht ist, bleibt die Anspannung noch lange Zeit hoch.
Doch was passiert da im Kopf und im Bauch? Und wie kommen wir von diesem
Spannungsniveau möglichst schnell wieder runter? Dafür ist es sehr hilfreich, in einem
Schreckmoment ein wenig Selbstbeobachtung zu betreiben: was sind meine Auslöser für
einen Schreck? Wo genau bemerke ich den Schreck, die Angst? Welche Körpergefühle
treten dabei auf? Wichtig ist, dem Schreck erstmal eine Beachtung zu schenken, denn er hat
seine äußerst hilfreiche Daseinsberechtigung: uns zu schützen.

Noch einen Schritt weiter

Und in einem stillen Moment ist die Königsdisziplin, in sich hineinzuhorchen, welche
Gedanken den Schreck begleiten. Wenn wir nicht nur die Auslöser, sondern auch unsere
Bewertungen dazu kennen, eröffnet sich die Möglichkeit für Veränderung. Denn nur, was ich
kenne, kann ich bewusst verändern.

Bernt Spiegel beschrieb den Schreck einst als “schlagartige Einsicht in die plötzliche
Ausweglosigkeit einer Situation mit einer subjektiv wahrgenommenen hohen
Wahrscheinlichkeit des Eintritts”. Im Klartext: der Schreck wird begleitet von dem
unbewussten Gedanken “das schaffe ich nicht”, “das klappt nicht”, “das geht schief”. Für den
Fahrer ist das in diesem kurzen Moment schlichtweg wahr. Unser Gehirn unterscheidet nicht
zwischen unwahrscheinlich oder wahrscheinlich. Evolutionär hing unser Überleben davon
ab, dass wir bei Bedrohungen schnell handeln. Für Wahrscheinlichkeitsrechnung ist kein
Platz auf der effizienten Datenautobahn des Hirnstamms.

Der Raum der Möglichkeiten

Wie komme ich dem Schreck also bei? Zweierlei kann ich verändern: die Überraschung und
die Bedrohlichkeit eines schreckauslösenden Ereignisses. Durch Training, beispielsweise
einem Fahrsicherheitstraining, kann ich herausfordernde Situationen so lange üben, bis sie
nicht mehr herausfordernd sind. Das Überfahren von Hindernissen in Schräglage, hart
Ausweichen auf der Bremse, Flucht ins Gelände – nur so lange ein Alptraum, bis es geübt
wurde. Und ich kann die Bewertung eines Ereignisses durch mentales Training verändern.
Mir bewusst machen, warum ich persönlich ein Ereignis für bedrohlich erachte, das andere
gar nicht wahrnehmen. Denn die Bedrohlichkeit ist eine subjektive Zuschreibung, die – fragte
man zehn Fahrer – jeder unterschiedlich bewerten würde. Sie ist also variabel und damit zu
unseren Gunsten veränderbar.

Runterkommen

Und wenn man sich so richtig erschrocken hat, lautet die erste Hilfe: tief durchatmen. Ganz
bewusst auf den Atem achten: einatmen, halten, bis 5 zählen, ausatmen. Dabei mal
wahrnehmen, wo der Schreck noch sitzt und ganz bewusst die Schultern fallen lassen, die
Finger vom Lenker lockern, den Unterkiefer hängen lassen. Der Körper beeinflusst nämlich
umgekehrt auch den Geist. Lockert sich der Körper, entspannt sich automatisch der Kopf.
Und das ist der erste Schritt zurück in Richtung entspanntes Fahren und Landschaft
genießen. Back on Track!

Bis in 2 Wochen zu meiner nächsten Motorradkolumne.

Eure Claudia


In der zweiwöchentlichen Motorrad-Kolumne “Perspektivwechsel” von Motorradcoachin Claudia dreht sich alles um unser geliebtes Zweirad und die Menschen, die es fahren. Mit ihren Geschichten über Gedanken, Gefühle und alles, was sich beim Fahren “zwischen den Ohren” abspielt, gibt sie neue Impulse für einen Perspektivwechsel.

Mehr zu Claudia, ihrer Arbeit als Motorradcoachin sowie direkte Kontaktmöglichkeiten findet ihr hier oder bei Insta und Facebook.

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